Für die Landschaftsmalerei um 1800 galt noch immer die akademische Vorgabe, historische Landschaften zu malen. Das hieß, antike oder biblische Szenen zu illustrieren, für die eine idealisierte südliche, in der Regel italienische Landschaft als Kulisse beziehungsweise Bildraum diente. Für junge Kunststudenten war daher die Italienreise obligatorischer Teil der Ausbildung, galt es doch sowohl die antiken Bauwerke, die Kunstwerke der Renaissance als auch die südliche Landschaft, ihr Licht und ihre Atmosphäre zu studieren. Ende des 18. Jahrhunderts begannen die ersten Künstler auf ihren Studienausflügen in die Natur, die Landschaften und Naturphänomene nicht mehr nur zeichnerisch mit dem Bleistift festzuhalten, sondern in Öl einzufangen. Pioniere waren die Franzosen und sie nahmen sich diese künstlerischen Freiräume in Italien. Der wohl bedeutendste dieser Pioniere war der Historienmaler Pierre-Henri de Valenciennes, der von 1777 bis 1785 in Italien, vor allem in Rom, lebte und zwischen 1782 und 1784 erste kleine Ölstudien in der Natur anfertigte. So hielt er etwa den Wolkenhimmel über der römischen Campagna (Abb. 1) in Öl auf Papier fest und malte die eigentliche Landschaft nur ganz summarisch mit wenigen langgezogenen Pinselstrichen. Die Bilder, mit denen er in Ausstellungen an die Öffentlichkeit trat, zeigten aber nach wie vor im Atelier gefertigte historische Landschaften, die paysage historique. 1800 veröffentlichte er dann einen Traktat zur Perspektive und Landschaftsmalerei, in dem er das Malen in Öl in der Natur und das ganz unmittelbare Festhalten der Natureindrücke als Empfehlung für die Ausbildung junger Maler aussprach. Valenciennes hatte erkannt, dass »die Wirkungen der Natur fast nie dieselben zu denselben Augenblicken oder zu einer vergleichbaren Stunde sind.«1 Licht, Luftfeuchtigkeit – Valenciennes sprach von »Dampf in der Atmosphäre« – Wind, Regen, Höhe und Wolken beeinflussen das Erscheinungsbild der Landschaft. Der erste Ratschlag, den er für Landschaftsmaler daraus ableitete, lautete: Beschränkung. »Zuerst muss man sich darauf beschränken, lediglich die wesentlichen Töne der Natur in dem gewählten Eindruck so gut wie möglich zu kopieren. Man muß seine Studie mit dem Himmel beginnen, der den Ton der Gründe angibt […].«2 Der zweite Rat zielte auf die andere wesentliche Besonderheit der Ölstudienmalerei, die Geschwindigkeit: »Man ahnt sehr wohl, daß es, wenn man diesem Weg folgt, unmöglich ist, ausführlich und detailliert zu arbeiten, da jegliche Studie nach der Natur unerbittlich innerhalb eines Zeitraumes von maximal zwei Stunden gemacht sein muß. Und wenn es um den Effekt der aufgehenden oder untergehenden Sonne geht, darf man nicht mehr als eine halbe Stunde ansetzen.«3 Alexander Bastek Freiräume in der Landschaftsmalerei Die Ölstudie
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