Leseprobe

59 58 Mit einer anderen Empfehlung scheint Valenciennes sogar das impressionistische Prinzip serieller Ansichten, wie es Claude Monet zum Ende des Jahrhunderts in die Kunstgeschichte einführte, vorweggenommen zu haben. »Es ist gut, dieselbe Ansicht zu unterschiedlichen Tageszeiten zu malen, um die Unterschiede zu beobachten, die das Licht auf den Formen bewirkt. Die Veränderungen sind derart wahrnehmbar und erstaunlich, daß man nur mit Mühe dieselben Gegenstände wiedererkennt.«4 Doch zielten Valenciennes’ Empfehlungen und auch seine eigene künstlerische Praxis weiterhin auf die klassische, idealisierte und im Atelier zu schaffende Landschaft ab. Die Landschaftstudien in Öl, in denen der unmittelbare Natureindruck fixiert war, dienten als Motivrepertoire: »[…] man bewahrt sie in der Zeichenmappe auf, um bei Bedarf nachzusehen.«5 Martin Schieder hat in seinen Betrachtungen zur paysage historique dargelegt, dass die »Symbiose von exakter Naturbeobachtung und malerischer Leichtigkeit« schon bei zeitgenössischen Kunstkennern Bewunderung auslöste. Der von Schieder zitierte Einwand des Kunstkritikers Louis de Bachaumont an Valenciennes’ Cicero entdeckt das Grab des Archimedes, sein Vollenden entspräche leider nicht der Erhabenheit seiner Entwürfe, verdeutlicht aber auch, dass die Ölstudie bereits um 1800 rezipiert und wertgeschätzt wurde.6 Erst den Malern der folgenden Generationen war es vorbehalten, die Unterscheidung zwischen Studie und vollwertigem Werk schrittweise zu überwinden. Unter den französischen Künstlern sind hier in erster Linie Jean-Baptiste Camille Corot und Théodore Rousseau zu nennen, die um 1830 im Dorf Barbizon im Wald von Fontainbleau mit ihrer Freilichtmalerei den Weg zum Impressionismus ebneten. Die Anfänge von Corots Ölstudienmalerei liegen aber ebenfalls in Italien, wo er ab 1825 drei Jahre verbrachte. Seine Landschaftsstudie Marino, 1826/27 (Kat.-Nr. 69) ist ein eindrückliches Beispiel für eine landschaftliche Gesamtansicht in Form einer skizzenhaften Ölstudie: In dem kleinen Ort in den Albaner Bergen südöstlich von Rom hielt Corot eine aus grünem Buschwerk emporwachsende Felsformation fest, auf der drei Repoussoirfiguren dem Betrachter den Blick in die Ferne, über die Hügel bis in die Ebene oder gar dem Meer vorgeben. Und über dem Ganzen ist der stimmungsvolle Himmel mit gelblichem Licht am Horizont und einem grauen Wolkenband darüber aufgespannt. Théodore Rousseau steigerte eine solche Wirkung im abendlichen Gegenlicht. Seine Abendlandschaft mit Baum und Teich (Kat.- Nr. 71), die er in der Gegend um Barbizon gefunden haben dürfte, ist in den erhabenen Stimmungswerten zugleich dramatisch und beruhigend. Abb. 1 Pierre-Henri de Valenciennes / Wolkenstudie über der römischen Campagna 1782/1785 / Öl auf Papier, auf Malpappe

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