Leseprobe

Die deutschen Künstler taten sich im Gegensatz zu ihren französischen Kollegen anfangs schwer damit, die Ölfarben in der freien Natur einzusetzen. Häufig zitiert wurden die Lebenserinnerungen Ludwig Richters, in denen er die Gegensätze der deutschen und französischen Studienpraxis beschrieb. Die riesigen Malkästen, die sich die französischen Maler von italienischen Jungen durch die Landschaft tragen ließen, erschienen ihm auf den ersten Blick wie kleine Haustüren: »Die französischen Maler mit ihren Riesenkasten brauchten zu ihren Studien ungeheure Quantitäten von Farbe, welche mit großen Borstpinseln halb fingersdick aufgesetzt wurde. Stets malten sie aus einer gewissen Entfernung, um nur einen Totaleffect, oder wie wir sagten einen Knalleffect zu erreichen. Sie verbrauchten natürlich sehr viel Maltuch und Malpapier, denn es wurde fast nur gemalt, selten gezeichnet; wir dagegen hielten es mehr mit dem Zeichnen als mit dem Malen. Der Bleistift konnte nicht hart, nicht spitz genug sein, um die Umrisse bis ins feinste Detail fest und bestimmt zu umziehen. Gebückt saß ein Jeder vor seinem Malkasten, der nicht größer war als ein kleiner Papierbogen, und suchte mit fast minutiösem Fleiß auszuführen, was er vor sich sah. Wir verliebten uns in jeden Grashalm, in jeden zierlichen Zweig und wollten keinen ansprechenden Zug uns entgehen lassen. Luft- und Lichteffecte wurden eher gemieden als gesucht; kurz, ein Jeder war bemüht, den Gegenstand möglichst objectiv, treu wie im Spiegel, wiederzugeben.«7 Wenn es um die Wahrheit, das Wesen – das Wesentliche – der Natur ging, schieden sich also die Geister. Die klassische oder gar klassizistische Auffassung verlangte, das Gesetzmäßige der Natur zu verstehen und die naturwissenschaftlichen Phänomene zu analysieren, um sie adäquat darzustellen. Aber gelang dies mit der Konzentration auf den einzelnen Grashalm oder mit dem Blick für die übergeordneten atmosphärischen Erscheinungen der Natur? In der Praxis entwickelte das unmittelbare Festhalten der Naturphänomene schließlich eine Eigendynamik, die wohl im besonderen ästhetischen Reiz der Ölstudie lag und sich in der einnehmenden Leichtigkeit der Darstellung äußerte. Die von Richter kritisch beäugten »Türrahmen« konnten die Franzosen erst schrittweise ersetzen. Kleine, gut tragbare Malkästen, teils mit Halterungen für Papiere oder Malpappen kamen auf den Markt. Und Anfang der 1840er-Jahre waren es dann die Ölfarben in Tuben, die das Malen in der Natur revolutionierten. Die technische Entwicklung brachte auch eine Annäherung der vermeintlichen Gegensätze. Beides war in der Ölstudienmalerei möglich: Ausblicke, Detailansichten, mit grobem Pinsel breit aufgetragene Landschaftsgründe oder mit feinem Pinsel gemalte Maschen eines Fischernetzes, wie in Ludwig von Löffzts Studie (Kat.-Nr. 28). Für Ludwig Richters Schüler Albert Venus sollte die Ölstudie dann übrigens zum selbstverständlichen Medium der Landschaftsmalerei werden. In seiner Skizze Campagna (Kat.- Nr. 50) hält er genau den »Totaleffect« einer Landschaft fest, den sein Lehrer noch abgelehnt hatte: eine abwechselnd hell und dunkel erscheinende hügelige Ebene, über der im Hintergrund eine Bergkette geradezu herausleuchtet. So setzte sich das Malen in Öl in der Natur schrittweise europaweit durch und bot den Malern die Möglichkeit neuer motivischer und thematischer Freiräume. Italien blieb als »Land des Lichts« zunächst der bevorzugte Ort, um Ölstudien zu malen. Und neben den traditionellen Reisezielen wurden auch neue Orte für die Kunst entdeckt. Im östlich von Rom gelegenen Bergdorf Olevano skizzierte Florian Grospietsch 1821 den Blick auf den Monte Serone und die Monti Ernici (Kat.-Nr. 51). Die grauweißen Wolken sorgen in der darunterliegenden Landschaft für rhythmische Lichtwechsel, die Grospietsch mit dunklen Bergspitzen, lichtbeschienenen Hängen sowie hell- und dunkelgrünen Wiesenhügeln einfing. Heinrich Bürkel fixierte in seiner Italienischen Landschaft (Kat.-Nr. 33) – es dürfte sich ebenfalls um die Campagna bei Rom handeln – die Kontraste von Grün- und Rottönen, die auch hier in der abendlichen Sonne in Erscheinung traten. Zudem ist seine Ölstudie an den Rändern unbemalt geblieben – eine typische Spielart der studienhaften Landschaftserfassung, deren besonderer ästhetischer Reiz oft gerade im Unvollendeten liegt. Bei Bürkel finden wir noch ein anderes in der Ölstudienmalerei immer wieder zu entdeckendes Motiv: das Spiel mit Nah- und Fernsicht. Die Römischen Ruinen (Kat.-Nr. 41) boten dem Maler die Möglichkeit, die Reste eines antiken Bauwerks nahsichtig in ihren malerischen Details zu studieren. Der helle Sandstein, die Bögen und Brüche der Architektur und das Grün der darauf wachsenden Büsche und Bäumchen gaben ein wunderbar malerisches Motiv. Im Vordergrund ist es gerade umgekehrt und aus dem üppigen

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