Leseprobe

123 122 neum in Deutschland bekannt machte, waren prägende deutsche Köpfe am Golf von Neapel. »Eine gewisse sich aus der Spontanität ergebende Unbekümmertheit, brillante Farbenkraft und Schnelligkeit in der Pinselführung, verbunden mit einer bewussten Entscheidung für das Unvollendete entsprechend der Flüchtigkeit des Natureindrucks – dies sind die ästhetischen Merkmale der Ölstudienpraxis, die zukunftsweisend von englischen und französischen Landschaftsmalern bereits vor der Epochenwende um 1800 entwickelt wurden, wenngleich weitgehend verborgen vor der zeitgenössischen Öffentlichkeit.«4 So beschreibt Claudia Denk treffend die Vorgeschichte der hier präsentierten Ölstudien und schnell ausgeführten Aquarelle auf Papier, die nicht im Atelier, sondern en plein air, also vor dem Landschaftsmotiv im Freien, im Licht der gleißenden, südlichen Sonne entstanden.5 Die deutschen Künstler, die nach 1815 in den italienischen Süden an den Golf von Neapel reisten waren, was die Wertschätzung der im Freien entstandenen Ölstudie angeht, bereits weiter; man achtete und schätzte diese zügig vor dem Motiv entstandenen Studien untereinander durchaus und zeigte und schenkte sie sich gegenseitig. Auch begannen einige fortschrittliche Sammler diese bereits für ihre Kollektionen zu erwerben. Vielbesucht wurde die Gegend um Neapel neben englischen Reisenden und Malern auch von französischen Landschaftskünstlern wie Jean-Joseph-Xavier Bidauld, Alexandre-Hyacinthe Dunouy, Simon Denis und Achille Etna Michallon. Die hier beheimateten italienischen Künstler widmeten sich meist lediglich der in Neapel bei den Reisenden durchaus beliebten Vedute in der Gouache-Technik,6 weniger der aquarellierten oder in Öl gemalten Landschaft mit all ihren atmosphärischen Erscheinungen. Dies änderte sich erst ab etwa 1820 mit der sogenannten Scuola di Posillipo, die sich unter dem Einfluss der niederländischen Maler Frans Vervloet und Anton Sminck van Pitloo, den italienischen Malern Giacinto Gigante, Achille Gigante und Achille Vianelli in Neapel formierte. Die genannten Künstler, die auch im fruchtbaren Austausch mit deutschen und französischen Kollegen standen, legten ihr Augenmerk auf Wasser, Felsen und die flirrende Vegetation im Wandel des südlichen Lichtes. Die am häufigsten aufgesuchten Orte waren Neapel selbst mit seinen wunderbaren weiten Blicken über den blauen Golf vom Castel Sant’Elmo, dem Hügel Capodimonte und viceversa dem am Hafen gelegenen Castel dell’Ovo. Im Westen Neapels waren es der langgezogene, entzückende Felsrücken des Posillipo, hinter dem die vulkanischen Phlegräischen Felder, die Stadt Pozzuoli mit dem nach ihr benannten Golf, der Venus-Tempel von Bajae sowie die Inseln Procida und Ischia lagen. Östlich von Neapel erklomm man ängstlich den oftmals brodelnden und rauchenden sowie gelegentlich Lava spuckenden Vesuv,7 besuchte die archäologischen Ausgrabungen Pompejis und Herkulaneums, reiste weiter nach Castellamare di Stabia und zur Villa Quisisana sowie per Schiff zur malerischen Insel Capri. Noch etwas weiter entfernt von der Stadt lagen die pittoresken Felsenküsten von Positano oder Amalfi. Etwas seltener reiste man weiter gen Süden, um Vietri, Atrani, Salerno und die griechischen Tempel von Paestum, das südliche Kampanien oder gar das wilde, unerschlossene und noch immer von Räuberbanden heimgesuchte Kalabrien zu besuchen und in Bildern festzuhalten. Einen regelrechten Aufschwung erhielt der Aufenthalt in Neapel bei deutschen Künstlern nach dem Ende der napoleonischen Kriege ab 1815, als das Reisen im Süden leichter und sicherer wurde. Deutsche Maler wie Joseph Rebell, Carl Wilhelm Götzloff und Friedrich Salathé sind hier zu nennen. Einer der frühen Entdecker und Vermittler der Schönheiten Neapels und seiner Umgebungen war bereits ab 1812 der Berliner Franz Ludwig Catel.8 Er kam Ende 1811 nach Rom und bereiste in den Diensten des französischen Archäologen Aubin Louis Millin gleich im Sommer 1812 für drei Monate Neapel, Kampanien und Kalabrien. Es entstanden auf dieser Reise viele Zeichnungen, von denen mehr als 170 in der Bibliothèque national de France in Paris erhalten sind.9 Hervorgehoben sei in diesem Zusammenhang eine Zeichnung Amalfis, auf der man links den oberhalb in den Felsen gelegenen Eingang zur Grotte des Kapuzinerklosters San Francesco klar erkennen kann.10 Ob Catel die Grotte allerdings schon im Mai 1812 besucht hat, ist unklar.11 Ein wohl späteres, sehr schönes Aquarell mit dem Blick aus der Grotte des genannten Kapuzinerkonvents auf den sich an den steilen Felshängen ausbreitenden Ort Amalfi zeigt Catels Stärke, mit Aquarellfarben die Topographie und das besondere atmosphärische Licht dieser Küstenregion einzufangen (Kat.-Nr. 72). Auffallend ist für diese Naturstudie, die im Werk des Künstlers eher früh (möglicherweise schon um 1818) entstanden sein dürfte, jegliches

RkJQdWJsaXNoZXIy MTMyNjA1