Leseprobe

Heckel Erich Die bemalten Postkarten

Heckel Erich Die bemalten Postkarten Renate Ebner Andreas Gabelmann Herausgegeben von der Erich Heckel Stiftung

Inhalt 14 Vorwort 17 Große Kunst im kleinen Format 24 Verzeichnis der Karten und Briefe 356 Adressaten 362 Biografie 364 Literatur 367 Dank und Bildnachweis 368 Impressum

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17 »Da wir alle nicht gerade eifrige Briefschreiber waren, dienten die Karten als kurze Mitteilungen über unsere Arbeit […] und so sind die meisten Karten Skizzen von Bildern oder Beobachtungen.«1 So schilderte Karl Schmidt-Rottluff die besondere Vorliebe der »Brücke«-Künstler für das rasche Kommunikationsmittel Postkarte. Erich Heckel wird dem Malerfreund gewiss zugestimmt haben. Auch in seinem Schaffen erfreute sich die Postkarte großer Wertschätzung und wurde ein häufig genutzter Bote zwischen ihm und seinem Umfeld. Wie kein anderes Medium vermochte die Karte, mit ihren knappen bildlichen Darstellungen und kurzen schriftlichen Mitteilungen unmittelbare Äußerungen zu transportieren, spontan und persönlich, stets mit besonderer Frische und Direktheit. Erstmalig präsentiert das Buch einen Überblick über die gestalteten Postkarten Erich Heckels. Die gezeichneten, aquarellierten und bedruckten Karten bilden ein wichtiges Kapitel im Leben und Werk, das motivisch und stilistisch die Bandbreite seines Schaffens reflektiert. Vorgestellt werden 217 Postkarten sowie 17 illustrierte Briefe, Brieffragmente und Briefbeilagen von 1907 bis 1975, mit detaillierten Angaben zu Bild und Text, Standorten, Literatur und Ausstellungen. Weiterführende biografische und ikonografische Bemerkungen zu den Bildschöpfungen und Nachrichten sowie Erläuterungen zu den Adressaten und Verweise auf Parallelen im Œuvre verleihen dem Band den Charakter eines Werkverzeichnisses. Für die kunsthistorische Forschung sind Künstlerpostkarten und Briefe wertvolle Quellen: Poststempel und Textinhalte geben Auskunft über Aufenthaltsorte, Kontakte und Begegnungen, ermöglichen präzise Datierungen von Motiven und helfen bei deren biografischer Einordnung. Die Bildseiten können Aufschluss über etwaige Vorstudien zu Malerei oder Druckgrafik liefern und im Fall konkreter Bildskizzen Hinweise zu unbekannten, zerstörten oder verschollenen Arbeiten geben. Große Kunst im kleinen Format 1 Zit. nach Gerhard Wietek: Karl Schmidt-Rottluff, Zeichnungen auf Postkarten, Köln 2010, S. 14. Zwei bogenschießende Mädchen im Atelier (Detail), 1910 Renate Ebner Andreas Gabelmann

18 Zur Geschichte der Postkarte 1870 wurde die kleinformatige Mitteilungskarte, damals »Correspondenzkarte« genannt, von der Postverwaltung des deutschen Kaiserreichs eingeführt. Rasch etablierte sich dieses neue Medium, das im Gegensatz zum Brief offen verschickt wurde, als praktische und kostengünstige Möglichkeit, um Grüße und kurze Nachrichten zu versenden. Der geringe Aufwand und das niedrige Porto führten zu einem Aufschwung der Postkarte: Bereits 1879 beförderte die Deutsche Reichspost um die 120 Millionen Karten jährlich.2 Anfangs war eine Seite der Karte ausschließlich für Adresse und Briefmarke reserviert, die andere Seite konnte beschriftet werden. Ab 1897 wurden Bildpostkarten mit professionell gedruckten Motiven angeboten und gewannen rasch an Popularität: Dekorative Glückwunschkarten und bald auch Ansichtskarten kamen auf den Markt. Entscheidende Voraussetzung für die Nutzung von Postkarten für künstlerische Zwecke war im Februar 1905 die Aufteilung der Anschriftenseite in ein Adress- und Textfeld, sodass sich auf der Rückseite eine freie Fläche zur Gestaltung ergab.3 Bemerkenswerterweise fiel diese Neuerung mit der Gründung der Künstlergruppe »Brücke« im Juni 1905 in Dresden zusammen. Gerade im vorgegebenen kleinen Format sowie in der Verknüpfung von selbstgeschaffenem Bild und Text lag der besondere Reiz des Mediums – zwang die Postkarte doch zur Reduktion der Gestaltungsmittel, für aufwändige oder repräsentative Darstellungen kam sie nicht infrage. Hinzu trat die Unkompliziertheit der schriftlichen Kommunikation. Und schließlich begünstigte die Tatsache, dass die Postzustellung mehrmals täglich – in den Städten gar drei- bis viermal – erfolgte, die außerordentliche Beliebtheit dieses Nachrichtenmittels, auch und gerade in den Reihen der Künstlerschaft der frühen Moderne.4 Bilder und Botschaften von Erich Heckel Beim Blick auf die Motive und Mitteilungen von Erich Heckels Postkarten lassen sich verschiedene Typen und Motivationen beobachten. Seine Bildschöpfungen offenbaren ein weites Spektrum zwischen flüchtiger Skizze und ausgearbeiteter Komposition. Auch die Bandbreite der Nachrichten spannt den Bogen vom einfachen Gruß an Freunde über komplexe Mitteilungen zu Geschäftlichem bei »Brücke« oder zum eigenen Schaffen bis hin zu persönlichen Worten an seine Frau. Dabei können Bild und Text als Einheit aufeinander bezogen sein, aber auch unabhängig voneinander erscheinen, wie z. B. auf der Karte Liegender Akt im Wald von 1910, wo einem idyllischen Moritzburg-Motiv die knappe Schilderung der »Brücke«-Ausstellung in der Dresdner Galerie Arnold gegenübergestellt ist (S. 102). Heckels Lebens- und Schaffensphasen spiegeln sich analog zu seinem Werk auch im Facettenreichtum seiner Postkarten. Während in der »Brücke«-Zeit spontane Eindrücke von verschiedenen Orten und Erlebnissen im Mittelpunkt standen – aus dieser Brücke gratuliert, 1909

19 Periode stammt die größte Anzahl an Kartengrüßen –, brachten die besonderen Umstände im Ersten Weltkrieg eine Hinwendung zu neuen Themen, überwiegend im Medium des Holzschnitts. In den frühen 1920er-Jahren beherrschten dann Heckels rege Reisetätigkeit wie auch die häufigen Aufenthalte in seinem Sommerdomizil an der Flensburger Förde die Motive. Ab dieser Zeit wurden die Texte ausführlicher, da Siddi mehr und mehr das Schreiben übernahm, insgesamt ging die Postkartenproduktion zurück und versiegte Ende der 1920er-Jahre nahezu. In den folgenden Jahrzehnten wandte sich Heckel nur noch ganz vereinzelt dem Medium der Postkarte zu. Bildeten in den frühen Jahren die Faktoren von Malen, Schreiben und Versenden an eine bestimmte Person eine dichte zeitliche Einheit, so veränderte sich dieser Prozess später: Motive wurden auch »auf Vorrat« geschaffen und mit zeitlichem Abstand versandt oder verblieben unbeschrieben im Besitz des Künstlers. Im Kreis der »Brücke« Wie seine Kollegen Karl Schmidt-Rottluff, Ernst Ludwig Kirchner, Max Pechstein und Otto Mueller schätzte Heckel den neuen, zeitgemäßen Kommunikationsweg der Postkarte; mit unterschiedlichen Höhepunkten und Gewichtungen nutzte er das Medium über sechs Jahrzehnte. Die größte Dichte und Intensität sind in seiner frühen Schaffensphase zwischen 1909 und 1913 zu beobachten. Aufgrund ihres spezifischen Charakters entsprach die Postkarte in idealer Weise dem spontanen Ausdrucksdrang; sämtliche Malerfreunde nutzten dieses Mittel des direkten Austauschs, von allen haben sich zahlreiche Postkarten erhalten und sind wesentlicher Teil ihres Wirkens.5 Heckels früheste bekannte Postkarte mit bildlicher Darstellung stammt vom 17. Mai 1907 (S. 26) und war an Cuno Amiet gerichtet, seit 1906 Mitglied der »Brücke«. Diese Karte mit eher brieflichem Charakter und eingefügter Skizze sowie gedichtartigen Verszeilen bezeugte Heckels literarische Neigungen in den Jugendjahren. Mit den zahlreichen Postkarten von 1909 setzte, nach heutiger Kenntnis, das eigentliche Schaffen in diesem Medium ein. Aus diesem Jahr sind 23 Karten bekannt, die Mehrzahl davon an die befreundete Kunsthistorikerin Rosa Schapire in Hamburg, der im Zusammenhang mit den frühen Kartengrüßen der »Brücke« eine bedeutende Rolle als engagierte Förderin zukommt.6 Mit der äußerst knappen Formel »Brücke gratuliert« und dem sinnbildlich gemeinten wie karikaturhaft überspitzten Motiv der vier Freunde auf einem Brückenbogen sandten Heckel und Schmidt-Rottluff am 9. September Grüße zu ihrem 35. Geburtstag. In der schlagkräftigen Kombination von Bild und Wort offenbart sich hier besonders eindrücklich der Aufbruchsgeist der jungen Kunstrebellen. Ebenso ging im September 1909 eine der frühesten Karten Heckels – eine lebhafte Reiterszene am Strand von Dangast – an den Hamburger Landgerichtsdirektor Gustav Schiefler und markierte den Auftakt der intensiven, lebenslangen Korrespondenz mit dem Mentor und Grafik-Sammler.7 2 Vgl. Robert Lebeck und Gerhard Kaufmann: Viele Grüße, Eine Kulturgeschichte der Postkarte, Dortmund 1985, S. 404. 3 Vgl. Janina Dahlmanns: »Besten Gruß …«, Künstlerpostkarten der »Brücke«, in: Ausst.-Kat. BrückeMuseum Berlin 2012, S. 8–32. 4 Vgl. Bärbel Hedinger: Künstler, Post, Karte – Eine Einleitung, in: Diess. (Hg.): Die Künstlerpostkarte, Von den Anfängen bis zur Gegenwart, München 1992, S. 9–18. 5 Vgl. dazu ausführlich Ausst.-Kat. Expressionistische Grüße, Brücke-Museum Berlin 1991. 6 Vgl. Gerd Presler: »Brücke« an Dr. Rosa Schapire, Städtische Kunsthalle Mannheim/Elztal-­ Dallau 1990. 7 Vgl. Gerhard Schack (Hg.): Postkarten an Gustav Schiefler, Hamburg 1976. Reiter am Strand, 1909

20 In den Reihen der »Brücke« dienten die Karten der raschen Kommunikation untereinander – unabhängig, ob sich die Freunde an den gleichen oder an unterschiedlichen Orten aufhielten. An den Namen gelegentlich Mitunterzeichnender lässt sich ablesen, wo und wann sich bestimmte Zirkel herausgebildet haben, was wiederum Rückschlüsse auf die Dynamik innerhalb der Gruppe erlaubt. Insbesondere zwischen Heckel und Kirchner, die um 1910 eine große stilistische Nähe entwickelt hatten, bestand ein reger Austausch.8 Heckels Postkarten dieser Jahre waren ganz wesentlich von wechselnden Aufenthaltsorten geprägt: So kennen wir Grüße aus Italien (1909), Dangast (1909–1910), Dresden und Moritzburg (1909–1911), Prerow (1911), Fehmarn und Hiddensee (1912), Berlin (ab 1911) und Osterholz (ab 1913). Eine Sonderrolle nehmen die wenigen bekannten illustrierten Briefe ein, in denen Heckel Skizzen von Gemälden einfügte, an denen er gerade arbeitete oder die er noch realisieren wollte. Insbesondere lag ihm daran, Rosa Schapire auf dem Laufenden zu halten, da sie gelegentlich Vorträge über sein Werk hielt. Von seiner Italienreise sandte er ihr beispielsweise zahlreiche Bildskizzen. Als Geschäftsführer der »Brücke« führte Heckel die Korrespondenz, kümmerte sich um die Organisation von Ausstellungen und das Verschicken der Jahresmappen. Dadurch erweiterte sich der Kreis der Adressaten,9 was auch Heckels persönliche Kontakte prägte: Karten gingen an Kollegen wie Franz Marc oder Lyonel Feininger, passive Mitglieder wie Käthe Bleichröder oder Künstlerfreundinnen wie Maschka Mueller. Sein Postkartenschaffen entfaltete sich parallel zum übrigen Werk und behandelt, wie in den Gemälden, Aquarellen und Druckgrafiken, zentrale Themen seiner Kunst: Landschaften, Badende, Akte im Atelier, Varieté, Zirkus und Bildnisse. Mit Darstellungen von bogenschießenden Akten oder durchs Wasser watenden Modellen in Moritzburg, Fränzi im Atelier, Seiltänzerinnen, Pferdedressuren oder Damenringkampf reflektieren seine Postkartenmotive exemplarisch den vitalen Expressionismus vor 1914. Mit dem Kennenlernen der Tänzerin Sidi Riha, die ab 1911 als Lebensgefährtin und nahezu einziges Modell in Heckels Bildern vorkommt, erweiterte sich sein Motivspektrum ins Private, siehe etwa die Karte Sidi beim Schminken. Als Technik favorisierte Heckel die Zeichnung, ausgeführt in Farbkreide, Tusche oder Bleistift; gelegentlich trat Aquarellmalerei hinzu. Strenge Konturlinien, sicher und energisch, frei und offen gesetzt, stehen neben flächigen Schraffuren mit malerischer Wirkung; vermittelt werden sowohl flüchtige Momentaufnahmen als auch atmosphärische Stimmungen. Die Postkarten bilden damit einen bedeutsamen und integralen Bestandteil in Heckels zeichnerischem Werk. Sidi beim Schminken, 1910 Kopf, 1910 Kniende Frau I, 1913 8 Vgl. Annemarie Dube-Heynig: E. L. Kirchner, Postkarten und Briefe an Erich Heckel, Köln 1984. Die stilistischen Gemeinsamkeiten werfen in seltenen Fällen Fragen nach der Urheberschaft der Kartenzeichnungen auf. Die Postkarten von Heckel an Kirchner haben sich nicht erhalten. 9 Vgl. dazu das Verzeichnis der Adressaten im Anhang, S. 356–361. 10 Vgl. Andreas Gabelmann: Selbstbehauptung und Wandel, Erich Heckels Bildwelten aus dem Ersten Weltkrieg, in: Ausst.-Kat. Erich Heckel, Kriegszeit 1914– 1918, Kunstmuseum Moritzburg, Halle 2014, S. 53–65; und Ebner/ Gabelmann 2021, Bd. 2, S. 42–103. 11 Vgl. Hans Geissler: Die Jahresblätter, in: Ebner/Gabelmann 2021, Bd. III, S. 45–63.

21 Druckgrafik auf Postkarten Neben dem raschen und spontanen Arbeiten mit Stift und Pinsel griff Heckel erstmals 1910, dann verstärkt in den Jahren 1912 bis 1915, die ihm vertraute Technik des Holzschnitts auf. Dabei verwendete er meist kurz zuvor geschaffene Holzstöcke und druckte diese auf Blanko-Postkarten ab. Aufgrund des knappen Formats musste er in den meisten Fällen einen Ausschnitt wählen, wodurch das Motiv eine neue Wirkung gewann, z. B. bei der Karte Kopf von 1910. Im Unterschied zum ursprünglichen Holzschnitt Zwei Köpfe von 1909 erfuhr die Darstellung eine Monumentalisierung. Anders als bei den eigens für die Postkarten geschaffenen singulären Zeichnungen konnte Heckel dank der drucktechnischen Vervielfältigungsmöglichkeiten mehrere Abzüge vom gleichen Stock herstellen, so etwa bei den Karten Kniende Frau von 1913 an Franz Marc und Gustav Schiefler. Diese Methode kam vor allem während der Kriegsjahre zum Einsatz – aus dieser Zeit haben sich fast ausschließlich Holzschnitte auf Karten erhalten. Im Zuge seiner Tätigkeit als Sanitäter in Flandern von 1915 bis 1918 konnte er zwar weiterhin künstlerisch arbeiten, Aquarelle und Zeichnungen traten aber in den Hintergrund, während Malerei und Druckgrafik weiterhin entstanden.10 Die erhaltenen Holzschnitt-Feldpostkarten stammen gleichwohl vom Heimaturlaub in Berlin, bei den bekannten Feldpostbriefen aus Ostende existiert nur ein Holzschnitt-Exemplar. Beide Medien wurden als offizielles Kommunikationsmittel in der Kriegszeit portofrei befördert. Heckels Eindrücke und Erfahrungen des Krieges mündeten in die Wahl der Motive und Themen: Verwundete, Gefallene, Szenen mit religiöser Symbolik, z.B. im Ausschnitt aus dem Triptychon Barmherziger Samariter von 1915. Obgleich von der Obersten Heeresleitung Zensur drohte, wurden seine Karten trotz ihrer Sujets von Leid und Tod offenbar problemlos befördert. Eine vergleichsweise untergeordnete Rolle spielten die übrigen Drucktechniken; während nur eine Radierung auf Postkarte von 1914 bekannt ist, fertigte Heckel in den frühen 1920er-Jahren kleine Motiv-Serien im Medium der Lithografie: Die Kartenfolge Segelboot (S. 307–309), die er zum Jahreswechsel 1922/23 verschickte, nimmt die Idee der ab 1930 angefertigten Jahresblätter11 vorweg. Auch im Spätwerk kamen vereinzelt Lithografien zum Einsatz. In Karten wie Kopf eines Clowns von 1946 oder Hockender Akt von 1958 (S. 344) manifestiert sich durch die extreme Fokussierung auf knappe Bildausschnitte eine überraschende eigenständige Wirkung. Kopf eines Clowns, 1946 Barmherziger Samariter, 1915

22 Blick auf Säckingen, 1921 Die 1920er-Jahre Nach Ende des Krieges nahm Heckel den Brauch der bemalten Postkarte in dichter Folge wieder auf. Mit dem Kauf des Bauernhauses in Osterholz an der Flensburger Förde, das ab 1919 zum zentralen Lebensmittelpunkt der Sommer- und Herbstmonate wurde, rückten Landschaften und Badeszenen – vor allem mit den alljährlichen Sommergästen – wieder ins Blickfeld des Künstlers. Bis zur Mitte der 1920er-Jahre stammte ein Großteil der verschickten Karten von Heckels Ostsee-Idylle. Das Frühjahr nutzte er nun für ausgedehnte Reisen in Bergregionen als Gegenpol zu Meer und Großstadt. Eine Besonderheit dieser Schaffensperiode ist die Folge der Reisepostkarten von 1921, als Heckel eine ausgedehnte Wanderung vom Bodensee entlang des Hochrheins bis zum Schwarzwald unternahm und seine Frau nahezu täglich über den Reiseverlauf in Bild und Text informierte. Die detailreiche Ausarbeitung und panoramaartige Anlage der Motive verleiht diesen Farbkreidezeichnungen den Charakter von Ansichtskarten, wie etwa beim Blick auf Säckingen. An die Stelle spontaner Skizzen früherer Postkarten traten nun bildmäßige Kompositionen des Beobachteten. Nutzte Heckel auf Reisen aus praktischen Gründen meist Farbstifte, griff er im Atelier vermehrt zu Pinsel und Aquarellfarben, um seine Eindrücke auf das kleine Format zu bannen. Auch sein Motivrepertoire erweiterte sich, hinzu kamen vermehrt Selbstbildnisse und Zirkusszenen. Wie in den zeitgleich geschaffenen Gemälden mündete Heckels Faszination für die Welt der Clowns, Akrobaten und Pferdedressuren 1921/22 in seinen Postkarten, so etwa in der Karte Zirkuspferde und Dompteur. Während der Entstehung seines Wandbildzyklus im Angermuseum Erfurt hielt er Ausschnitte dieser Raumausmalung auf zwei Karten von 1922 fest (S. 300–301). Die Durchdringung von Motiven auf Postkarte und in Malerei findet sich beispielsweise 1927 bei der Schilderung von Badenden auf der Maininsel (S. 327–329), wobei die aquarellierte Zeichnung als Vorstudie für das Gemälde diente und daher weder beschrieben noch verschickt wurde. Der Blick auf Heckels weitgespanntes Postkarten-Netzwerk macht deutlich, wie stark er in das vielfältige Beziehungsgeflecht der Avantgarde vor und nach dem Ersten Weltkrieg eingebunden war. Freundschaften, Kontakte und Verbindungen bestanden zu Künstlerfreunden wie Otto und Maschka Mueller, Lyonel und Julie Feininger, Maria Marc oder Walter Gramatté, zu Sammlern und Mäzenen wie Alfred und Tekla Hess oder Carl Hagemann, zu Museumsdirektoren wie Walter Kaesbach oder Max Sauerlandt und zu Kunsthändlern wie I. B. Neumann. Zirkuspferde und Dompteur, 1921

23 Ausklang Gegen Ende der 1920er-Jahre widmete sich Heckel nur noch ganz sporadisch diesem Kommunikationsmittel; die wenigen Karten bis 1965 sind hinsichtlich Motivik und Technik heterogen. Signifikant ist die Häufigkeit der von Siddi verfassten Nachrichten mit eher brieflichem Charakter sowie das Verschicken der Karten im Kuvert. Für die letzte bekannte Kartensendung 1975, fünf Jahre nach Heckels Tod, verwendete sie ein postkartengroßes Aquarell von 1953 für ihre Mitteilung an einen Kunsthändler (S. 352). Hierbei handelt es sich nicht um eine Postkarte im eigentlichen Sinn. Vielmehr wurde ein bereits vorhandenes Werk aufgrund seines Formats zur Postkarte erklärt, ähnlich dem Blumengruß für Luise Schiefler von 1966, der aus einem Aquarell-Ausschnitt von 1944 hervorging (S. 349). Die zahlenmäßig kleine Werkgruppe der unbeschriebenen Postkarten – nachweislich 17 Arbeiten von 1914 bis 1930 – entspricht nicht der eigentlichen Intention des Mediums, da sie nicht verschickt wurden. Entweder fehlte der passende Anlass oder Heckel wollte sie als Vorstudien nutzen, und so bildete sich ein gewisser Vorrat, auf den Siddi in der Spätzeit zurückgreifen konnte. Beispielhaft für den großen zeitlichen Abstand zwischen Herstellung und Versendung ist die Karte mit dem Holzschnitt Weibliche Akte von 1919, die erst 1969 zum Einsatz kam. Von Erich Heckel sind bislang 234 bemalte, gezeichnete und bedruckte Postkarten und Briefe bekannt. Die ursprüngliche Anzahl dürfte größer gewesen sein. Zahlreiche Karten, die sich heute in Museumsbesitz befinden, sind durch die Empfänger dorthin gelangt, z. B. aus dem Nachlass von Rosa Schapire, der auf mehrere Museen in Deutschland, England und Israel verteilt wurde. Den größten Bestand an bemalten Postkarten von Erich Heckel besitzt das Altonaer Museum in Hamburg mit seinem Sammlungsschwerpunkt zur Kunst der Postkarte. 1964 hatten Erich und Siddi Heckel eine große Anzahl der in ihrem Besitz befindlichen eigenen Karten – sowie Briefe und Karten von ihren Künstlerfreunden – dorthin gegeben; bis 1973 erfolgten weitere Zustiftungen. In diesem Jahr zeigte das Altonaer Museum anlässlich des 90. Geburtstags Erich Heckels dieses umfangreiche Konvolut erstmals in einer Ausstellung.12 Weibliche Akte, 1969 12 Ausst.-Kat. Erich Heckel, Gemälde, Aquarelle, Graphik, Jahresblätter, gemalte Postkarten und Briefe aus dem Besitz des Museums, Altonaer Museum, Hamburg 1973.

26 1907 Selbstbildnis mit Figurengruppe Bleistift 14 × 9,2 cm Fondation Cuno Amiet, Aarau Poststempel: Löbau (Sachsen) 17.5.07/ Oschwand b. Riedtwil 20.V.07 An: »Herrn Cuno Amiet, Maler, Oschwand bei Riedwil [sic!], Kanton Bern« Text (Heckel/Blass): »Lieber Amiet! Eigentlich soll ich nach Ihrer schönen Bitte etwas zeichnen – wir haben ein paar sehr lebhafte Stunden zusammen verbracht und von Ihnen – sehr gut gesprochen – so zeichnete ich also Ihr sehr getreuer EHeckel. [Zeichnung]/Heut wurde ich zum Bindebogen der weitgespannten Brücke. Die Gedanken von Dresden nach Oschwand flogen und wünschen vieles Glücke.« Bemerkung: Das Motiv zeigt Heckels Profil bei der Beobachtung einer mehrfigurigen Szene aus dicht beieinanderstehenden weiblichen Rückenakten, die in ihrer Skizzenhaftigkeit an die sogenannten Viertelstundenakte der »Brücke«-Künstler denken lässt. Vom gleichen Tag datiert eine zweite, jedoch unbemalte Postkarte von Heckel an Amiet, die von dem Besuch des Kunsthistorikers Curt Blass bei Heckel in Dresden berichtet: »[…] Ich habe mich sehr gefreut, dass C. Blass mich besucht hat. Er ist ein sehr feiner Mensch – ich danke Ihnen eine gute Bekanntschaft. […].« Somit ist es sehr wahrscheinlich, dass Curt Blass, seit 1903 mit Amiet bekannt und durch ihn ab 1907 passives Mitglied der »Brücke«, auf der vorliegenden Karte die Zeilen unterhalb der Zeichnung schrieb. Mit dem in der Schweiz lebenden Cuno Amiet, ab 1906 Mitglied der »Brücke«, führte Heckel in seiner Funktion als Geschäftsführer der Künstlergruppe einen regen Brief- und Postkartenkontakt.

27 Malerbildnis (Selbstbildnis), 1905 Holzschnitt

28 1909 Brief an Rosa Schapire vom 15. Januar 1909 8 Seiten, 2 Zeichnungen Tusche und Bleistift 17 × 13 cm Altonaer Museum, Hamburg, erworben 1963 Text: »15/I.09/Liebes Fräulein Schapire, Sie mögen sich wohl mit Recht beklagen, dass ich ein schlechter Briefschreiber bin – aber ich kann nicht gut über mich und meine Arbeit schreiben – bin auch immer voll von Bildern, Holzschnitten, was noch zu machen wäre und mit dem Getanen unzu-/frieden, sodass ich über das wenige Gute auch nicht gern erst noch lang berichte. Nebensteh.[end] Skizze von einem Bild und zugleich ein Winkel von meiner Dachkammer.« Bildskizze mit Farbnotizen »grün«, »rot« und Maßangaben »1,15/2 m« »Ich möchte wirklich wissen, was sich über meine Graphik blos [sic!] sagen lässt – denn technische Fragen können Sie solchem Publikum nicht viel bringen; bleibt wohl Ihre Meinung darüber – aber bitte ja keine Lobeshymne – Ihre grosse Begeisterungsfähigkeit könnte leicht den Wert/dieser Sachen von mir überschätzen. Hoffentlich verstehen wir uns noch – trotz der langen Pausen – und Sie fühlen weshalb ich Ihrer für mich doch sonst so guten Liebe zu meinen Drucken – einen kühlen Blick wünsche. Und jetzt erst meinen herzlichen/Dank für Ihren Brief, dass Sie an mich gedacht haben für Ihren Vortrag. Ich werde Ihnen gern eine Anzahl Blätter schicken, von den neuen Kaltnadelsachen kennen Sie ja auch noch nichts. Zu Neujahr konnte ich unmöglich nach Berlin kommen, ich hatte jeden Tag Modell und habe ver-/sucht die so notwendigen Studien des menschlichen Körpers fleissig zu betreiben. Freilich mit dem schlechten Resultat, dass ich das Unzulängliche, das bald knappwerdende Geld und die geringe Zeit, die ich noch darauf verwenden kann, fühle./Dass wir van Dongen zum neuen Mitglied ernannt und er angenommen, wissen Sie vielleicht schon. Hoffentlich gelingt es mir am 8. Februar hier fort zu fahren, damit ich in München noch die Marés [sic!] -Ausstellung noch sehen kann. Ich freue mich, dass Ihnen/von Pechstein Graphik gefallen hat. Ich habe doch gutes Zutrauen zu seinen Kräften – wenn ich auch nicht alles schon gut finde. Doch

29 achwe [?]. Es ist schon ½ 12 und ich will noch einen Holzschnitt machen – der wartet schon lang« Bildskizze »Es grüsst Sie herzlichst EHeckel.« Literatur: Gerhard Wietek, Jahrbuch der Hamburger Kunstsammlungen, Hamburg 1964, S. 185–188; Manfred Meinz, Gemalte Künstlerbriefe, Hamburg 1970; Ausst.-Kat. Hamburg 1973, Kat.-Nr. 36; Ausst.-Kat. Erich Heckel, Essen 1983, Kat.-Nr. 151; Hanna Strzoda: Die Ateliers Ernst Ludwig Kirchners, Petersberg 2006, S. 45, Abb. 32; Ausst.-Kat. Vistapoints, Hamburg 2022, Kat.-Nr. 37 (ohne Abb.): die 2. Skizze dort irrtüml. als »Heiliger« bezeichnet Ausstellungen: Essen 1983, Hamburg 2022 Bemerkung: In seinem Brief an die Hamburger Kunsthistorikerin Rosa Schapire, die seit 1907 passives Mitglied der »Brücke« war und die Künstlergruppe engagiert förderte, bezieht sich Heckel auf ihren geplanten Vortrag über seine Druckgrafik, der Anfang 1909 vor einem interessierten Freundeskreis in Hamburg stattfand (Ausst.-Kat. Die Brücke und die Moderne, Hamburg 2004, S. 49). Offenbar hatte Schapire Heckel gebeten, ihr als Anschauungsmaterial für diesen Vortrag einige Grafiken zu schicken. Mit den »neuen Kaltnadelsachen« bezieht er sich auf die 1908/09 entstandenen Radierungen, in denen die bisher vorherrschende Technik der Strichätzung mehr und mehr von der Kaltnadel-Technik abgelöst wird. Den »so notwendigen Studien des menschlichen Körpers«, die seit den sogenannten Viertelstundenakten ein zentrales Anliegen der »Brücke«-Künstler waren, wird sich Heckel auch bei seinem bevorstehenden Aufenthalt in Rom widmen. Mit der »Dachkammer« ist die Mansarde im elterlichen Wohnhaus in der Berliner Straße 65 in Dresden gemeint, die ihm zeitweilig als Atelier diente. Dort wird Heckel ein Wandbild ausführen, das er im folgenden Brief an Schapire skizzierte (S. 33). Bei der ersten Bildskizze könnte es sich um das zerstörte Gemälde Sitzender Akt handeln (Hüneke 1909-01, ohne Abb.), obwohl dessen Maße von den angegebenen stark abweichen. Eine vergleichbare Situation findet sich in der Lithografie Müdes Mädchen von 1909 (Ebner/Gabelmann 363 L). Der erwähnte Holzschnitt, für den die zweite Bildskizze die Vorstudie liefert, ist nicht bekannt. Der Kontakt zu dem holländischen Maler Kees van Dongen (1877–1968) aus dem Kreis der Fauves war durch Max Pechsteins Paris-Aufenthalt 1908 zustande gekommen. Das Streben nach internationaler Erweiterung durch neue aktive Mitglieder für »Brücke« kommt auch auf einer Postkarte von Karl Schmidt-Rottluff

38 1909 Italienische Landschaft Tuschfeder 9 × 14 cm Monogrammiert u.r.: »E H« Verbleib unbekannt Poststempel: Roma 18. 4. 09 An: »Herrn und Frau Köhler-Haussen, Dresden A, Bankstrasse 1, Germania!« Text: »Herrn und Frau Köhler-Haussen. Herzlichen Dank für Ihren freundlichen Gruss. Von Italiens Frauen und anderen Schönheiten werde ich Ihnen manches erzählen können. Herzlichen Gruss Ihr E Heckel« Provenienz: Galerie Rosenbach, Hannover; Smlg. Hermann Gerlinger, Würzburg (seit 1987) Auktionen: Ketterer Kunst, München, online 15. 8. 2023 und 15. 5. 2024 Literatur: Die Maler der Brücke, Bestandskat. Sammlung Hermann Gerlinger, Schleswig-Holsteinisches Landesmuseum, Schleswig 1995, S. 174, Kat.-Nr. 198 (Abb.); Die Maler der Brücke, Bestandskat. Sammlung Hermann Gerlinger, Halle (Saale) 2005, S. 164, Kat.-Nr. 371 (Abb.); Ausst.-Kat. Bernried 2020, S. 106 (Abb.) Ausstellungen: Bernried 2020 Bemerkung: Der Schriftsteller und Kunstkritiker Ernst Köhler-Haussen gehörte seit 1907 als passives Mitglied der »Brücke« zu den frühesten Unterstützern der Künstlergruppe.

39 Das Motiv und die Grußzeilen entstammen den Eindrücken von Heckels Italienreise, die ihn im Frühjahr 1909 u.a. von seinem Atelier in Rom in die landschaftliche Umgebung führte. Das Sujet einer großen, solitären Pinie auf sanft ansteigender Hügelkuppe findet sich in vergleichbarer Form als Bildskizze im Brief an Rosa Schapire, den Heckel zwei Tage zuvor, am 16. April 1909 (S. 34), aus Rom nach Hamburg gesandt hatte. Dieses Motiv sollte eine wichtige Rolle bei der Ausgestaltung von Heckels Atelier durch einen Wandbehang spielen, der als Hintergrund in zahlreichen Werken (z.B. S. 120, 124 und 128) erscheint. Heckels Kartengruß auf der italienischen Blanko-Postkarte bezieht sich auf eine Karte, die ihm das Ehepaar Köhler-Haussen zusammen mit Ernst Ludwig Kirchner am 20. März 1909 von Dresden nach Rom gesandt hatten: »Hoffentlich hat Ihnen noch keine süße Italienerin Herz und Verstand geraubt! Ich freue mich schon jetzt auf Ihre italienischen Studien« (zit. nach Dube-Heynig 1984, Kat.-Nr. 2).

40 1909 Brief an Rosa Schapire vom 28. April 1909 7 Seiten, 3 Zeichnungen Tusche 21,3 × 13,7 cm Altonaer Museum, Hamburg (6 Seiten) und Smlg. Gerhard Wietek (1 Seite) Text: »Roma, 28. Apr. 09/Liebes Fräulein Schapire, ich benutze eine gezwungen – frei[e] Zeit – zu einem Brief für Sie. Das Modell ist wieder einmal nicht gekommen, trotz versprechen und draussen ist schwerer Südwind, Regengüsse und drückende Schwüle. Der Druck auf das Gehirn nimmt an solchen Tagen bedenklich zu und ich muss Ablenkung suchen. Vorige Woche war ich in Neapel. Das Museo nazionale hat sehr feine Sachen; unter den pompei.[anischen] Ausgrabungen/und in der Gemäldesamlg. 2 sehr intressante Tizian. Das Leben der Stadt ist eigenartig – die Ziegenherden und Kühe auf den Strassen und die Menschen – es ist alles sehr volkstümlich, Rom dagegen gross städtischer, vornehmer mit feineren Menschen, Toiletten, Bewegungen. In Neapel hört das Strassenleben mit mittl. [erem] Bürgerstand fast auf; nach abwärts aber umso reicher./Es giebt da Typen, eine feste Form, die man immer wieder sieht; das giebt etwas stilisiertes – etwa wie eine Japanerin – so hier das hoch aufgesteckte Haar – blond und das Gesicht bleich, grau dazu zerlumpt. Dann die Weiber mit den hellen Haaren und der gesund braun gebrannten Haut und schließlich schwarze, dunkle: ›Mora‹. Das Leben ein tolles Durcheinander, laut lärmend, dicht gedrängt Menschen/in manchen Gassen um die Verkäufer, Musik, Klavierorgeln, Phonographen, hier und da auch noch mal ein Sänger oder Mandolinenspieler. Daneben 6 Stock hohe Kästen – Hotels in St. Lucia, am Meer. Schließlich das Hafenleben; der Typ der Auswanderer wie in Bremen oder Hambg., die Arbeiter mit den Kleidersäcken und Läden und Kästen. Die Fischer und Fischverkäufer./In Rom bleibe ich noch bis Ende Mai und fahre dann über Florenz nach Dresden, wo ich zur Einrichtung unserer Ausstellung bei Richter am 12. Juni sein soll und möchte. Hoffentlich kann ich im August, od. September nach Dangast gehen, um den Herbst am Meer zu arbeiten. Durch ein Brückenrundschreiben erfuhr ich, dass Sie wieder eine ganze Anzahl neuer p.M. [passive Mitglieder] gewonnen haben; das ist ja sehr fein./Eine andere sehr gute Nachricht bekam ich von Pechstein, dass von ihm 3 Sachen von der berl.[iner] Secession genommen worden sind; das ist,

41 trotz dem die Secession auf keinem so hohen Niveau ist, doch sehr erfreulich für Pechstein. Es ist doch vorläufig für Deutschland eine der modernsten Ausstellungsgelegenheiten. Wenn es nur recht kräftige Sachen sind – und sie gut hängen. Hier noch ein paar Skizzen nach Bildern. Herzlichsten Gruss Ihr EHeckel.« Drei Bildskizzen mit Farbangaben: 1. »Cucina oeconomica 182×96«; 2. »60×70 cm«; 3. »60×70« Literatur: Ausst.-Kat. Hamburg 1966, Kat.- Nr. 21 (Abb.); Ausst.-Kat. Reutlingen 1969, Kat.-Nr. 42; Ausst.-Kat. Schleswig 2010, S. 34; Hüneke 2017, Bd. I, S. 70 f. Ausstellungen: Hamburg 1966, Reutlingen 1969 Bemerkung: Wie schon in Dresden rückte auch in Italien die Darstellung der menschlichen Figur in den Mittelpunkt des künstlerischen Interesses. So schrieb Heckel am Vortag an seinen »Brücke«-Kollegen Cuno Amiet: »Ich habe hier in Rom Atelier gemietet, um Modelle nehmen zu können.« (Kopie im Nachlass Heckel). Trotz der erwähnten Unzuverlässigkeit entstanden zahlreiche Darstellungen mit römischen Modellen in Gemälden, Aquarellen, Zeichnungen und Druckgrafiken. Bei den Bildskizzen handelt es sich um folgende Gemälde: 1. Italiener beim Mittagessen (cucina economica) (Hüneke 1909-19, zerstört), 2. »Unterhaltung (Hüneke 1909-20) und 3. vermutlich Italienisches Mädchen (Hüneke 1909-17, zerstört, ohne Abb.). Im Unterschied zum vorherigen Brief vom 16. April gibt es hier keinen direkten Bezug zwischen Text und Bildern. Von Rom aus unternahm Heckel einen Abstecher nach Neapel. Zwar besichtigte er dort das Museo Archeologico Nazionale, begeisterte sich aber vor allem für das lebhafte Treiben auf den Straßen und Plätzen u.a. im neuen Hafenviertel St. Lucia. Die Werke von Tizian, die Heckel in der Sammlung Farnese beeindruckt haben, könnten folgende Gemälde sein: Portrait Papst Paul III. (1543), Danae (1554), Papst Paul III. Farnese mit den Kardinälen Alessandro und Ottavio Farnese (1545) und Büßende Magdalena (1567), die im westlichen Flügel im ersten Stock ausgestellt waren (vgl. Baedeckers Italien von den Alpen bis Neapel, Leipzig 1908, S. 348). Nach der anschaulichen Schilderung seiner Beobachtungen vor Ort, gibt Heckel zum Ende des Briefes einen Ausblick auf seine weiteren Reise- und Ausstellungspläne: Bei der Ausstellung in Dresden, die er im Juni mit einrichten wollte, handelt es sich um die Werkschau der »Brücke« im Kunstsalon Emil Richter. Das erwähnte Rundschreiben hatte Heckel vermutlich von Schmidt-Rottluff erhalten, der vorübergehend die Rolle des Geschäftsführers der »Brücke«

86 1910 Inder aus Ceylon Farbige Kreiden und Tuschfeder 18,6 × 14,5 cm Tel Aviv, Museum of Art, Stiftung Schapire Briefbeilage Bez. recto u.M.: »Ein Inder aus Ceylon, intressant in seinen Bewegungen« Bez. verso: »Erich Heckel Sept. 1909/ Tel Aviv« An: Dr. Rosa Schapire Bemerkung: Aus Heckels Mitteilung geht hervor, dass es sich hier um einen Artisten oder Tänzer handelt. Die Person mit Turban, langem schwarzem Haar und Schnurrbart inspirierte ihn zu einer Reihe von Skizzen und Zeichnungen. Heckels Rahmenlinie deutet auf eine Bildskizze, eine konkrete Idee für ein Werk, hin – ob es zur Ausführung kam, ist jedoch nicht bekannt. Die gleiche Szene verarbeitete Max Pechstein im Gemälde Der große Inder (Soika 1910/52) sowie in einer Postkarte von 1910 (vgl. Ausst.-Kat. Berlin 1991, Kat.-Nr. 91, S. 124) Das Sujet entstand während einer gemeinsamen Ateliersitzung mit Pechstein in dessen Berliner Atelier, wo sich Heckel im Frühjahr 1910 für mehrere Wochen aufgehalten hatte. Der Inder stand Pechstein 1910 Modell für eine Serie von Gemälden und Zeichnungen (vgl. Aya Soika: Max Pechstein, Das Werkverzeichnis der Ölgemälde, München 2011, Bd. 1, S. 266). Der rückseitige Vermerk, der laut Museum Tel Aviv von Rosa Schapire stammt, weist die Zeichnung als Teil eines Briefes von Erich Heckel an sie aus, der sich nicht erhalten hat. Die Datierung erfolgte wohl irrtümlich aus der Erinnerung. Möglicherweise sah Schapire einen Zusammenhang mit ihrem 35. Geburtstag am 9. September 1909, den sie mit Heckel und anderen in Dangast verbracht und zu dem sie mehrere bemalte Postkarten erhalten hatte (S. 49–51). Max Pechstein: Der große Inder, 1910 Öl auf Leinwand

87 1910 Tänzerin vor bemaltem Vorhang Farbige Kreiden und Tuschfeder 14 × 9 cm Hamburger Kunsthalle, Stiftung Nachlass Schapire Poststempel: Berlin 2. 3. 10 An: »Fräulein Dr. Rosa Schapire, Hamburg, Osterbeckstr 43« Text (Heckel/Kirchner): »Liebes Fräulein Schapire Ihr Brief kam mir nach. Ich bin im weitläufigen Berlin und versuche einiges mit fortzuschleppen. H. Gruss EH./besten Gruss von Ihrem E. L. Kirchner« Literatur: Ausst.-Kat. Neue Erwerbungen der Hamburger Kunsthalle 1945–1955, Kunsthalle Hamburg 1955, S. 44; Wietek 1958, Nr. 5 (Abb.); Jahrbuch der Hamburger Kunstsammlungen, Bd. 5, Hamburg 1960, S. 126; Ausst.-Kat. Die Künstler der Brücke in Berlin 1908–1914, Brücke-Museum Berlin 1972, Kat.-Nr. 8; Presler 1990, S. 86 (Abb.); Ausst.-Kat. Berlin 1991, Kat.-Nr. 73, S. 106 (Abb. Vorderseite), S. 224 (Abb. Rückseite); Ausst.-Kat. Dresden 2001, Kat.-Nr. 158, S. 411; Hanna Strzoda: Die Ateliers Ernst Ludwig Kirchners, Petersberg 2006, S. 166, Abb. 243 Ausstellungen: Hamburg 1955, Berlin 1991, Dresden 2001 Bemerkung: Im März und April 1910 hielt sich Heckel zu einem mehrwöchigen Arbeitsbesuch bei Max Pechstein in Berlin-Wilmersdorf auf und bezog bei der Zahnärztin Dr. Erdmann in Berlin-Friedenau Quartier. Neben der gemeinsamen Arbeit im Atelier – auch Kirchner war dort zu Besuch – wurden Varietés und Zirkusvorstellungen besucht, und Heckel sammelte Eindrücke, wie er auf der Karte erwähnt. Die Stilisierung der beiden streng gereihten Figuren im Hintergrund ist Teil eines von Pechstein bemalten Wandvorhangs in seinem Atelier. Die Tänzerin mit dem auffälligen Rüschenrock und entblößtem Oberkörper hielt er 1910 im Gemälde Der Tanz fest (Soika 1910/48) und auch von Kirchner sind eine Zeichnung und eine Radierung mit diesem Motiv bekannt (Exote, 1910, WernerConinx-Stiftung Zürich; Tänzerinnen im Atelier II, 1910/11, Gercken 434). Rosa Schapires Briefe an Heckel haben sich nicht erhalten, sie wurden vermutlich im Januar 1944 bei einem Bombentreffer auf sein Berliner Atelier vernichtet.

88 1910 Stehende Frau Farbige Kreiden und Tuschfeder 14,5 × 9,5 cm Kunsthalle Mannheim, Stiftung Nachlass Schapire 1957 Poststempel: Berlin W 22.3.10 An: »Fräulein Dr R. Schapire, Hamburg, Osterbeckstr 43« Text (Heckel/Pechstein): »Viele Grüsse E Heckel/ M. Pechstein« Bild verso: Dame mit Hut, Aquarell und Tuschfeder von Max Pechstein Literatur: Presler 1990, S. 23 (Abb. Vorder- und Rückseite); Ausst.-Kat. Berlin 1991, Kat.-Nr. 74, S. 107 (Abb. Vorderseite), S. 224 (Abb. Rückseite); Ausst.-Kat. Kirchner, Lehmbruck, Nolde, Kunsthalle Mannheim 2025, S.130 (Abb. Rückseite) Ausstellungen: Berlin 1991 Bemerkung: Im März und April 1910 verbrachte Heckel einen mehrwöchigen Arbeitsaufenthalt bei Max Pechstein in Berlin-Wilmersdorf, wo die Szene eines sich entkleidenden Modells wohl entstanden ist. Ungewöhnlicherweise zeigt die Postkarte auf Vorder- und Rückseite zwei Darstellungen. Die Bildnis-Studie von Pechstein ist eine Vorstudie für sein Gemälde Frau mit großem Federhut von 1910 (Soika 1910/76).

180 1912 Sitzender Akt am Strand Holzschnitt Ausschnitt aus Zwei sitzende Frauen von 1912 (Ebner/Gabelmann 527 H) 14 × 9 cm Museum Ludwig, Köln Poststempel: Berlin Friedenau 18.8.12 An: »Fräulein Dr. Rosa Schapire, zZ. Seeburg, Uhenfels Schlössle i. Württemberg« Text: »[Lie]bes Fräulein Dr. Schapire, [üb]er Ihren Kartengruss habe ich [mi]ch gefreut. Ich war einige [Zei]t auf Hiddensee, Ostsee, und [hab]e von dort viel Zeichnungen [mi]tgebracht. Leider bringen die sonst so angenehmen Verkäufe erst i. Herbst das Geld, das jetzt nötig [wäre?] Die besten G[rüsse Ihr] EHeckel« Provenienz: Wallraf-Richartz-Museum, Köln, erworben 1950 Literatur: Ebner/Gabelmann 2021, Bd. 1, S. 325, Nr. 527 H Bemerkung: Das Motiv geht zurück auf eine Strandszene auf der Ostseeinsel Fehmarn, wo Heckel und Sidi im Juli 1912 Kirchner und dessen Freundin besuchten, nachdem sie zuvor mehrere Wochen auf der Insel Hiddensee verbracht hatten. Spätestens Ende Juli waren sie nach Berlin zurückgekehrt, wie aus zwei Postkarten von Kirchner an die beiden hervorgeht (26. 6. 1912, 31. 7. 1912, vgl. Dube-Heynig 1984, S. 200–203). Bemerkenswerterweise ließ Heckel den Besuch bei Kirchner unerwähnt.

181 Dargestellt ist die linke der beiden Figuren aus dem Holzschnitt Zwei sitzende Frauen, vermutlich Sidi. Bei dem Druck auf Postkarte handelt es sich um das einzige bekannte Exemplar in Schwarz des ansonsten nur in farbigen Abzügen vorkommenden Holzschnittes. Schloss Uhenfels bei Bad Urach fand bereits in einer Karte Heckels an Schapire vom 29. September 1909 (S. 56) Erwähnung. Zwei sitzende Frauen, 1912 Farbholzschnitt

182 1912 Zwei Kinder im Interieur Holzschnitt Ausschnitt aus Kinder, 1911 (Ebner/Gabelmann 492 H) 9 × 14 cm Franz Marc Museum, Kochel, Dauerleihgabe der Erbengemeinschaft nach Maria Marc Poststempel: Berlin Steglitz 10.9.12 An: »Herrn Fr. Marc, bei Herrn Macke, z Z Bonn, Oppenheimerstr 81« Text: »Lieber Herr Marc, Mueller wollte gern seine Zeichnungen für eine Ausstell[un]g hier haben. Hat sie Goltz in München oder ist die Kollektion noch ausgestellt? Mit bestem Gruss Ihr E. Heckel« Literatur: Ausst.-Kat. 1913 – Bilder vor der Apokalypse, Franz Marc Museum, Kochel 2013, S. 73 (Abb.), S. 113; Ausst.-Kat. Kochel 2019, S. 10 (Abb.), S. 42, dort irrtümlich als Holzschnitt Kinder auf der Bank angegeben (1910, Ebner/Gabelmann 421 H); Ebner/ Gabelmann 2021, Bd. 1, S. 303, Nr. 492 H Ausstellungen: Kochel 2013 und 2019 Vergleiche: Gemälde Kinder, 1910 (Hüneke 1910-77) Bemerkung: Erste erhaltene Postkarte an Franz Marc, dem Heckel hier in seiner Funktion als Geschäftsführer der »Brücke« schrieb. Die beiden hatten sich im Januar 1912 in Berlin kennen und schätzen gelernt, und Marc hatte Heckel in seiner Berliner Atelierwohnung besucht, um Werke für die Grafikausstellung des »Blauen Reiters« in München auszusuchen. Mit »Goltz« ist der Münchner Kunsthändler Hans Goltz gemeint, der 1912 seine Galerie »Neue Kunst« eröffnete, in der vom 12. Februar bis Anfang April die »Zweite Ausstellung der Redaktion der Blaue Reiter: Schwarz-Weiss« gezeigt wurde, darunter auch Werke von Heckel, Kirchner, Pechstein und Mueller. Laut Katalog war Otto Mueller mit zwölf Zeichnungen vertreten.

183 Heckels Karte ging an die Adresse von August Macke nach Bonn, wo sich Marc nach einer gemeinsamen Parisreise für mehrere Wochen bei seinem Malerfreund aufhielt. Vom Holzschnitt Kinder von 1911, der auf ein Motiv aus Kirchners Dresdner Atelier von 1910 zurückgeht, sind bislang nur zwei Exemplare bekannt. Kinder, 1910 Öl auf Leinwand

230 1916 Allee am Kanal (Bildskizze) Tuschfeder 10,8 × 7,4 cm Altonaer Museum Hamburg, Stiftung Siddi Heckel 1974 Brieffragment an Siddi Heckel Bez. recto u. M.: »64×70« und u.r.: »Heckel 16« Text: »Auf eine ziemlich grobe Leinwand, eigentl. Baumwolle, sehr gute Leinw.[and] werde ich viell. [eicht] morgen bekommen, mit Ölfarbe gemalt – aber es taucht [sic!] noch nicht viel, obgleich ich es kaum noch gescheiter bekomme. Einen Kopf auf eine kleine Leinwand 40×50 nachmittags angefangen. Das soll der 3. in diesem Format werden. Dein Peter« Bemerkung: Das hier für Siddi skizzierte Gemälde hat sich nicht erhalten. Es handelt sich dabei um eine Landschaft bei Gent, wie der Vergleich mit dem ganz ähnlichen Bild »Kleine Flusslandschaft« von 1916 (Hüneke 1916-17) zeigt, das bei Gent entstanden ist. Der erwähnte »Kopf« aus einer Serie von drei Gemälden im kleinen Format meint entweder Irrer Soldat (Hüneke 1916-2, BrückeMuseum Berlin) oder die beiden zerstörten Porträts Bildniskopf (Selbstportrait) (Hüneke 1916-3) und Armierungssoldat (Hüneke 1916-4). In einem Brief an Kaesbach vom 24. Juli 1916 aus Gent äußerte sich Heckel über die Beschaffung von Leinwand: »Ich fahre morgen voraussichtlich nach Waerweghen, wo eine Spezialfabrik für Malleinwand ist« (Brief im Nachlass Heckel).

231 1916 Kircheninneres Tusche und Bleistift 17,7 × 10,2 cm Altonaer Museum, Hamburg, Stiftung Siddi Heckel 1973 Briefbeilage an Siddi Heckel Bez. recto: »Ein Kircheninneres, das gestern im Kino gezeigt wurde/Heckel 16« Bemerkung: Ob Heckel den Film in Gent gesehen hatte, wo er von März bis August 1916 stationiert war, muss offenbleiben. Bekannt ist jedoch, dass er dort Varieté-­ Veranstaltungen besuchte (vgl. Ebner/Gabelmann 695 und 696 L). Das besondere Interesse für diesen gotischen Kirchenraum mag mit Heckels Prägung durch sein Architekturstudium zusammenhängen; 1912 hatte er auch einen Kapellenraum auf der Sonderbund-Ausstellung in Köln ausgestaltet. Als Papier für diese flüchtige Zeichnung diente Heckel die Innenseite eines zerschnittenen, an ihn adressierten Briefumschlags vom 22.7.1916. Der Poststempel »Deutsch-Brzozie« stammt aus einem Ort im damaligen Westpreußen – der Absender ist unbekannt.

232 um 1919 Selbstbildnis Aquarell und Tusche 15,4 × 10,5 cm Altonaer Museum Hamburg, erworben 1964 Postkarte unbeschrieben Literatur: Ausst.-Kat. Hamburg 1962, Kat.-Nr. 153; Ausst.-Kat. Kunst und Postkarte, Altonaer Museum Hamburg 1970, Kat.-Nr. 86; Ausst.-Kat. Hamburg 1973, Kat.- Nr. 84 Ausstellungen: Hamburg 1962, 1970 und 1973 Bemerkung: Heckels Selbstporträt kann im Zusammenhang mit einer Reihe von Bildnissen am Beginn der 1920er-Jahre gesehen werden, in denen er sich, seine Frau und seine Geschwister dargestellt hatte. Nach dem Ende des Krieges und Neubeginn im künstlerischen Schaffen formulierte Heckel damit eine Art Selbstbefragung bzw. Selbstvergewisserung – der ernste Gesichtsausdruck und die eingefallenen Wangen zeigen die seelischen und körperlichen Folgen des Krieges.

233 1919 Männliche Akte am Strand Holzschnitt Ausschnitt aus Männer am Strand, 1919 (Ebner/Gabelmann 744 H III.) 14,1 × 9,1 cm Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg, NGS : B : 38 : 1919,1 : 165 Poststempel: Langballig 13. 10. 19 An: »An Herrn Landgerichtsdirektor Dr. G. Schiefler, Mellingstedt, Post Bergstedt/Holstein« Text (Siddi): »Lieber Herr und Frau Schiefler, wir senden Ihnen aus unserer nun schon recht winterlichen Einsamkeit gute Grüsse. Anfang Sept. waren wir auf einen halben Tag in Hamburg. Die Zeit war zu knapp. Heckel musste zum Umzug seiner Eltern. Hoffentlich sind Sie alle ganz wohlauf. Ihre E. und S. Heckel« Literatur: Ebner/Gabelmann 2021, Bd. 2, S. 110, Nr. 744 H Bemerkung: Das Motiv verbindet die Steilküste des Strandes bei Osterholz an der Flensburger Förde mit der Erinnerung an die Szenen badender Soldaten in Ostende. Bei diesem ersten Aufenthalt in ihrem Sommerhaus nach dem Ersten Weltkrieg blieb Heckel ausnahmsweise bis Ende November, weil die Umbauarbeiten in der neuen Wohnung in der Emserstraße 21 in Berlin noch nicht abgeschlossen waren. Über den Umzug seiner Eltern und den Wintereinbruch an der Ostsee berichtete Heckel dem Ehepaar Schiefler: »[…] Anfang September musste ich nach Dresden fahren, um meinen Eltern beim Umzug zu helfen und eigene Sachen, die noch in ihrem Keller lagerten, zu packen. Erst am 1. Oktober kam ich nach Osterholz zurück. Bis zum 20. November blieb ich, erlebte zum ersten mal den wundervollen Anblick von Schnee am Meer und in der hügeligen Angeliter Landschaft« (Brief vom 7.12.1919, SUB Hamburg, Kopie im Nachlass Heckel). Ab dieser Zeit übernahm Siddi zunehmend das Schreiben der Karten.

264 1921 Blick auf SchwarzwaldBerge Farbige Kreiden, Bleistift und Tuschfeder 10,5 × 15,5 cm Altonaer Museum Hamburg, erworben 1964 Poststempel: Freiburg (Breisgau) 29.4.21 An: »Frau Siddi Heckel, Hindelang i. Allgäu, Gasthof z. Post (Adler)« Text recto: »Ganz herzliche Grüsse von Deinem P.[itt/Peter]« Text verso: »29. Apr. 21. Freiburg. vormittags./L.[iebes] Ptl. [Peterle] [so] eben holte ich Deinen dicken Brief. Schiefler hat Zeit, bis ich bei Dir bin. Die Sache mit der Secession überlege ich mir noch. Schreibe vielleicht morgen eine Karte an Kaus. Mein jetziger Gedanke ist: laufen lassen und nichts mitmachen was aufs Neue in aktuelle und kunstpolitische Bindungen verwickelt, was die Bilder nicht verbessert. Ich fahre nun zu Mittag hier weg bis Titisee; falls Du noch hierher schriebst, so geht das wieder nach Hindelang. Hebs mir auf! Gestern alten Ostender Matrosen Kuntze getroffen, Freund von Hagen.« Literatur: Ausst.-Kat. Kunst und Postkarte, Altonaer Museum Hamburg 1970, Kat.-Nr. 87; Ausst.-Kat. Hamburg 1973, Kat.-Nr. 98 Ausstellung: Hamburg 1970 und 1973 Bemerkung: Das Motiv zeigt den Blick von der Rheinebene im Vordergrund auf die dahinter ansteigenden Berge des südlichen Hochschwarzwaldes. Der seit 1907 bestehende enge Kontakt mit dem Hamburger Sammler und »Brücke«-Förderer Gustav Schiefler und dessen Frau Luise setzte sich auch nach dem Ersten Weltkrieg fort. Auf einen Brief Schieflers antwortete Siddi am 4. Mai 1921 aus Hindelang: »Er [Heckel] ist nämlich seit dem 19. April auf einer Wanderung, vom Bodensee rheinabwärts bis Säckingen, durch den Schwarzwald bis Freiburg, und will auch Würzburg noch sehen. Dann ist er natürlich voll der neuen Eindrücke und möchte gleich nach

265 Berlin fahren um etwas wenigstens davon zu verarbeiten. Ich selbst muss meine vom Arzt verordneten 5 Wochen hier aushalten und dann in Chemnitz unsere kleine Nichte abholen, die wieder mit nach Osterholz kommen soll« (Kopie im Nachlass Heckel). Heckels Malerfreund Max Kaus, den er 1915 während seines Sanitätsdienstes in Ostende kennengelernt hatte, wurde 1921 Mitglied der »Berliner Secession«. Heckel trat ihr nicht bei – seine ablehnende Haltung solchen Künstlervereinigungen gegenüber lässt sich an seiner Mitteilung ablesen. Die Darstellung von Matrosen war ein häufiges Bildthema in Heckels Schaffen während des Ersten Weltkriegs, vergleiche z.B. den Holzschnitt Zwei Matrosen, 1916 (Ebner/Gabelmann 688 H). Schließlich erwähnt Heckel die nächste und letzte Station seiner Reise Titisee im Hochschwarzwald. Von dort wird er noch am gleichen Tag eine letzte Karte an Siddi nach Hindelang schicken, die mit der Nummer 15 versehen ist – während bei der vorliegenden Karte die Nummerierung (wohl 14) aufgrund von Papierverlust nicht ersichtlich ist. Die Kartenserie ist nicht ganz vollständig, wie sich an dem ungewöhnlich großen Abstand von zwei Tagen zur letzten Karte vom 27. April 1921 ablesen lässt.

266 1921 Blick auf den Titisee im Schwarzwald Farbige Kreiden und Bleistift 15,5 × 10,5 cm Altonaer Museum Hamburg, erworben 1964 Poststempel: Titisee 29. 4. 21 An: »Frau Siddi Heckel, Hindelang im Allgäu, Gasthof zur Post« Text: »15/Freitag. 29. Apr. Titisee/L. [iebes] Kind für kurze Zeit etwas Regen, aber so, dass ihn noch eine der grossen Tannen, die Du hier am See siehst, abhalten konnte. Hier bin ich wieder über 800 m hoch. Am abend fahre ich aber doch noch nach Donaueschingen, da ich für morgen mehr Regen fürchte. Bald sehen wir uns ja. Ich freue mich sehr. Sei ganz herzlich gegrüsst v[on] D[einem] Pitt.« Literatur: Ausst.-Kat. Hamburg 1973, Kat.-Nr. 99 Ausstellungen: Hamburg 1973 Vergleiche: Gemälde Titisee, 1921 (Hüneke 1921-28) Bemerkung: Letzte Postkarte von Heckels Frühjahrsreise durch Süddeutschland. Der besonders reizvoll zwischen den Bergen des Hochschwarzwaldes liegende Titisee war ein beliebtes Ausflugsziel und von Freiburg per Bahn gut zu erreichen. Die Rückfahrt über Donaueschingen führte Heckel vermutlich an den Bodensee zurück, um Siddi dort zu treffen, wie sie in einem Brief an Kaesbach berichtete: »Ich bleibe bis Anfang Mai hier und sehe ihn [Heckel] dann wahrscheinlich am Bodensee wieder« (Brief aus Hindelang vom 12.4.1921, Kopie im Nachlass Heckel).

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