Leseprobe

22 Blick auf Säckingen, 1921 Die 1920er-Jahre Nach Ende des Krieges nahm Heckel den Brauch der bemalten Postkarte in dichter Folge wieder auf. Mit dem Kauf des Bauernhauses in Osterholz an der Flensburger Förde, das ab 1919 zum zentralen Lebensmittelpunkt der Sommer- und Herbstmonate wurde, rückten Landschaften und Badeszenen – vor allem mit den alljährlichen Sommergästen – wieder ins Blickfeld des Künstlers. Bis zur Mitte der 1920er-Jahre stammte ein Großteil der verschickten Karten von Heckels Ostsee-Idylle. Das Frühjahr nutzte er nun für ausgedehnte Reisen in Bergregionen als Gegenpol zu Meer und Großstadt. Eine Besonderheit dieser Schaffensperiode ist die Folge der Reisepostkarten von 1921, als Heckel eine ausgedehnte Wanderung vom Bodensee entlang des Hochrheins bis zum Schwarzwald unternahm und seine Frau nahezu täglich über den Reiseverlauf in Bild und Text informierte. Die detailreiche Ausarbeitung und panoramaartige Anlage der Motive verleiht diesen Farbkreidezeichnungen den Charakter von Ansichtskarten, wie etwa beim Blick auf Säckingen. An die Stelle spontaner Skizzen früherer Postkarten traten nun bildmäßige Kompositionen des Beobachteten. Nutzte Heckel auf Reisen aus praktischen Gründen meist Farbstifte, griff er im Atelier vermehrt zu Pinsel und Aquarellfarben, um seine Eindrücke auf das kleine Format zu bannen. Auch sein Motivrepertoire erweiterte sich, hinzu kamen vermehrt Selbstbildnisse und Zirkusszenen. Wie in den zeitgleich geschaffenen Gemälden mündete Heckels Faszination für die Welt der Clowns, Akrobaten und Pferdedressuren 1921/22 in seinen Postkarten, so etwa in der Karte Zirkuspferde und Dompteur. Während der Entstehung seines Wandbildzyklus im Angermuseum Erfurt hielt er Ausschnitte dieser Raumausmalung auf zwei Karten von 1922 fest (S. 300–301). Die Durchdringung von Motiven auf Postkarte und in Malerei findet sich beispielsweise 1927 bei der Schilderung von Badenden auf der Maininsel (S. 327–329), wobei die aquarellierte Zeichnung als Vorstudie für das Gemälde diente und daher weder beschrieben noch verschickt wurde. Der Blick auf Heckels weitgespanntes Postkarten-Netzwerk macht deutlich, wie stark er in das vielfältige Beziehungsgeflecht der Avantgarde vor und nach dem Ersten Weltkrieg eingebunden war. Freundschaften, Kontakte und Verbindungen bestanden zu Künstlerfreunden wie Otto und Maschka Mueller, Lyonel und Julie Feininger, Maria Marc oder Walter Gramatté, zu Sammlern und Mäzenen wie Alfred und Tekla Hess oder Carl Hagemann, zu Museumsdirektoren wie Walter Kaesbach oder Max Sauerlandt und zu Kunsthändlern wie I. B. Neumann. Zirkuspferde und Dompteur, 1921

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