Leseprobe

62 Bernhard Heisig (1925–2011) Fliegenlernen im Hinterhof, 1996 Öl auf Leinwand, 215 × 200 cm Inv.-Nr. G 3785 Bernhard Heisig greift in Fliegen lernen im Hinterhof das für die Kunst in der DDR zentrale Thema des Ikarus aus der griechischen Mythologie auf. Dargestellt ist der missglückte Versuch eines Paares, mit einem Fluggerät, das an die frühen Flugapparate des Luftfahrtpioniers Otto Lilienthal erinnert, in die Welt hinauszufliegen. Doch das Unternehmen scheitert, das Paar stürzt ab. Die offensichtliche Unmöglichkeit, den Hinterhof zu verlassen, wird von Heisig ins Groteske überhöht. Das Flugobjekt gleicht Regenschirmen, der Rock der Frau verrutscht, während der Mann noch versucht, das Steuer festzuhalten, obwohl beide schon am Boden liegen. Mit gierigen Blicken ergötzen sich die Schaulustigen des Wohnblocks an dem Spektakel. Die raue und zum Teil derbe Bildsprache wird durch die grobe Textur des pastosen Farbauftrags unterstrichen. Mit dem Ikarus-Motiv spielt Heisig rückblickend auf die Lage vieler Menschen in der DDR an, die unter der politischen und künstlerischen Enge litten und doch meist nur mithilfe der Imagination dem Zustand zu entkommen versuchten. Im Nachwendebild kann der Hinterhof als Sinnbild allgemeiner Einengung verstanden werden und auf die Herausforderungen der neugewonnenen Freiheit hindeuten, mit denen sich viele Ostdeutsche nach 1990 konfrontiert sahen. _PP

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