18 bleiben und nicht auf bestimmte Phasen fixierbar sind. Soweit möglich bildet der Sammlungsbestand des KOG mit zwölf Gemälden und mehreren hundert Grafiken von Lovis Corinth die behandelten Schwerpunkte ab. Die Vielzahl hochrangiger Werke Corinths im KOG hat mit der Entstehungsgeschichte des Museums ebenso zu tun wie mit den engen Verbindungen seiner früheren Direktoren mit den Erben des Künstlers. Ist es der Stiftungsauftrag des KOG, die Erinnerung an das Kunstschaffen der ehemals deutsch geprägten Gebiete im heutigen östlichen Europa präsent zu halten, so war Corinth als gebürtiger Ostpreuße prädestiniert für die Sammlung. Seine beiden Kinder, die seit dem Zweiten Weltkrieg in den USA lebten, hielten intensiven Kontakt nach Deutschland, um dem Werk ihres Vaters eine würdige Aufbewahrung zu sichern. Viele Gemälde, die Corinth persönlich besonders nah waren und die er zeitlebens in seinem Atelier hängen hatte, gelangten auf diese Weise nach Regensburg – nicht zuletzt ein großer Teil der Skizzenbücher. Zwischenzeitlich sollen gar Gedanken durchgespielt worden sein, das Museum nach Corinth zu benennen. Kam dies auch nicht zum Tragen, so spiegelt sich die Wertschätzung seines außergewöhnlichen künstlerischen Œuvres doch in der Vergabe des Lovis-Corinth-Preises wider, den das KOG seit 1974 alle zwei Jahre an Künstlerinnen und Künstler für ein herausragendes Lebenswerk vergibt, das mit dem östlichen Europa verbunden ist. Wie ein Bild entsteht Beim Durchblättern der Skizzenbücher rückt man sehr nahe an die Persönlichkeit Corinths heran. Man sieht die ersten Striche, mit denen er Gesehenes oder Erdachtes festhielt, Zeichnungen, die »verborgen« in ihm weiterwirkten, jedoch ursprünglich nicht für fremde Blicke gedacht waren – abgesehen von Ausnahmefällen herausgerissener Blätter mit besonders gelungenen Zeichnungen. Durch eine Häufung von Skizzenbüchern aus den ersten Jahrzehnten seiner künstlerischen Produktion werden besonders viele Frühwerke Corinths aus den 1880er- und 1890er-Jahren wieder lebendig. Gerade an diesen ersten Bildern hing Corinth offenbar mit gewisser Nostalgie und gab sie nie weg. Sie waren, wie seine Frau Charlotte Berend-Corinth (1880–1967) festhielt, »immer um uns, sie hingen an den Wänden des großen Ateliers in der Klopstockstraße in Berlin. Sie standen auf Staffeleien, sie lehnten gegen alte Schränke.«5 Mit anderen Frühwerken hingegen haderte Corinth so sehr, dass er sie sogar zerstörte. In jedem Fall aber scheint er für eine professionelle fotografische Dokumentation seiner Bilder gesorgt und diese auch aufbewahrt zu haben. Das Bildarchiv des Münchner Bruckmann-Verlags, in dem das von Charlotte Berend-Corinth zusammengestellte Werkverzeichnis der Gemälde Corinths erschien und das in der Photothek des Zentralinstituts für Kunstgeschichte in München verwahrt ist, erweist sich als unschätzbare Fundgrube.6 Corinth ist bei der Erstellung seiner komplex komponierten Gemälde sehr systematisch vorgegangen. Erste Zeichnungen im Skizzenbuch, meist mit Bleistift, erfassen die Gesamtsituation, die in Hinblick auf Bildausschnitt und Größe der Figuren in weiteren Zeichnungen angepasst wird. Dazu gehören auch Einzelskizzen von bildbestimmenden Details. »Wenn der Maler ein Bild plant«, schreibt Corinth unter dem Stichwort »Die Komposition« in seinem Lehrwerk Das Erlernen der Malerei, »so pflegt er vorher eine Kompositionsskizze davon zu entwerfen mit Stift oder mit Farbe. Hierdurch verschafft er sich Klarheit über die Gruppierung der Figuren, über die Fleckenwirkung der Farben und über das Format.« Auch die »Raumaufteilung« innerhalb der Möglichkeiten eines Hoch- oder Querformats hat er mit dieser »Art geistiger Gymnastik« bereits absolviert und verinnerlicht, denn sie ergibt sich aus der Anordnung der Figuren.7 Die der Zeichnung folgenden Ölskizzen sind mit Pinsel, aber in zeichnerischem Duktus summarisch ausgeführt. Die Bildbestandteile sollen »nur in den Hauptsachen angedeutet werden. Die Richtigkeit kommt nicht wesentlich in Betracht, falls nur der Ausdruck des Tuns und Gebarens getroffen« und die Beleuchtung geklärt ist.8 Nach all diesen vorbereitenden Maßnahmen kann das Gemälde schließlich in seiner endgültigen Form ausgeführt werden. Hielte man den Prozess hiermit für abgeschlossen, so läge man im Falle von Corinth fehl. Ähnlich wie er bisweilen mehrere Jahre an der Entwicklung einer guten Form feilte,9 behielt er ein gelungenes Motiv weiter bei und verarbeitete es – oft wiederum erst lange Zeit später – in neuer Formulierung. Ab 1919/20 finden sich druckgrafische Wiederholungen vieler Gemälde, meist in Form von Radierungen. Corinth machte sich dabei gar nicht die Mühe, das Motiv zunächst zu spiegeln und dann auf die Radierplatte zu bringen. Nur dadurch hätte er erreicht, dass die grafische Darstellung der gemalten in ihrer Ausrichtung entsprechen würde. Er aber radierte das Motiv, wie es war, und erhielt im Abzug eine spiegelbildliche Version. Ganz offensichtlich war ihm an einer neuen Sicht auf das Bekannte gelegen. Auch straffte er die Kompositionen nicht in Hinblick auf eine einfache Lesbarkeit der Grafiken. Im Gegenteil wird die Entschlüsselung der Darstellung regelrecht erschwert. Statt abgrenzender Konturen laufen vehemente, fahrige Linien über die Fläche und formen nur schemenhaft das Figürliche nach. Dennoch darf man in den späten Grafiken die Quintessenz von Corinths künstlerischem Ausdruckswollen sehen. Sie stehen häufig am Ende einer Motiventwicklung.
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