19 Corinth und seine Bilder Durch Corinths Festhalten an bestimmten Motiven sah sich bereits der erste Bearbeiter des Grafischen Werkverzeichnisses von Corinth, Karl Schwarz (1885–1962), herausgefordert: »Bei der häufigen Wiederkehr derselben Motive mußte der Text möglichst ausführlich gestaltet werden, um die, oft nur unbedeutenden Unterschiede deutlich hervortreten zu lassen.«10 Denn in der Tat reichte Corinth ein einzelnes Ergebnis als Resultat seiner kompositorischen Anstrengungen nicht aus. Vielmehr wiederholte er seine Motive, modifizierte sie, wandelte sie ab oder transponierte sie aus einer Technik in eine andere. Vollendung des Ichs Wie aus dieser fast manischen Suche nach Perfektion hervorgeht, arbeitete Corinth sein Leben lang intensiv an seiner künstlerischen Vervollkommnung, was er auch in seinem Lehrbuch als Devise ausgibt: »Die Hauptsache ist aber immer die Arbeit. Nur durch intensivstes Hineinversenken in die Kunst kann man das Ziel erreichen.«11 Trotzdem haderte er immer wieder mit der Diskrepanz zwischen Kunst und Wirklichkeit: »Kein Werk gab ihm das, was er sich aus seiner Vision heraus vorgestellt hatte. Kopfschüttelnd sagte er immer wieder: ›Ich kann es nicht so machen, wie es in der Natur ist, wie ich es sehe.‹«12 Gerade aus dieser Beharrlichkeit rührt jedoch der spezifische Stil Corinths her. Was bisweilen als Tendenz zur Abstraktion in seinem Werk beschrieben wurde, ist als Läuterung des realitätsgegebenen Motivs zu reiner Farbmalerei zu verstehen. Die hohe Kunst der Verdichtung und Sublimierung gelang Corinth nur dank der absoluten Beherrschung des Sujets, das sich im Laufe seines Schaffens durch stetes Wieder-Malen tief in seinem Bildgedächtnis verankert hatte. So entstand seine »Anschauung, die sich nur mehr auf die große Form und auf die malerischen Zusammenhänge eingestellt hat.«13 Corinth habe »dazu beigetragen, den Malprozeß weitgehend zu verselbständigen, so daß die Gegenstände [...] nur noch den Anlaß abgaben, eine in sich intensive Farbensymphonie zu entfalten.« Wobei »die enormen Pinselrhythmen nie abstrakt werden, sondern dauernd Wirklichkeit vermitteln.«14 Corinth hatte in den 1920erJahren mit seiner technischen Bravour eine vollkommen wirklichkeitstreue und doch weit über diese Wirklichkeit hinausgehende Gestaltungsmacht erreicht. Die Zeitgenossen waren sich einig, dass Corinth unbeirrbar seinen individuellen Weg verfolgte, »völlig selbständig, ohne sich um irgendeines Gunst oder Mißgunst zu kümmern, auf das verehrte Publikum hustend und auf die hiesigen Künstler erst recht hustend«, wie sein Freund Walter Leistikow (1865–1908) treffend charakterisierte.15 Losgelöst von allen denkbaren Erwartungen oder Anforderungen erstrebte Corinth »lediglich die Vollendung seiner eigenen Persönlichkeit.«16 5 Berend-Corinth 1958, S. 9. 6 Mit herzlichem Dank an Dr. Franziska Lampe für ihre Unterstützung. 7 Corinth 1920, S. 88. 8 Corinth 1920, S. 91. 9 Vgl. Ausst.-Kat. Bremen 1975 a, Kat. 34, S. 55, ohne Abb.: Entwurf zum Höllensturz, 1892, Bleistift. »Das Gemälde ›Höllensturz‹ (WK 209) entstand erst 1901. [...] Die Zeichnung ist ein Beispiel dafür, daß Corinth nicht selten lange zögerte, bevor er eine Bildidee realisierte.« 10 Schwarz 1985, S. 6 f. 11 Corinth 1920, S. 92. 12 Olschki 1926, S. 245. 13 Glaser 1922, S. 229. 14 Roh 1952, S. 338. 15 Rohde 1941, S. 123 f. 16 Rohde 1941, S. 98.
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