Leseprobe

118 Auftragsbild 1919 malte Corinth den Geiger Andreas Weißgerber im Auftrag von Goeritz (Kat. 91). Das lebensgroße, ganzfigurige Bild entstand in Corinths Atelier in der Klopstockstraße.3 Es zeigt den Geiger in einem Rollenporträt als den legendären Musiker, wie bei einem Auftritt in schwarzem Anzug über weißem Hemd und cremefarbener Bauchbinde. Weißgerber steht und spielt sein Instrument. Das Ambiente gibt Requisiten in Corinths Atelier wieder: »Teppich dunkelbraun mit gelben Streifen; der Vorhang im Hintergrund bräunlichgelb«.4 Der Vorhang scheint Weißgerber etwas einzuengen, wie auch die beiden aufgehängten Bilder auf der anderen Seite. Er steht unbeweglich und konzentriert sich auf sein Spiel, den Kopf gesenkt. Die Betonung liegt auf den großen Händen mit Geige und Bogen. Spontane Inspiration Wie verblüffend, dass Weißgerber auf dem zweiten Porträt, für das Corinth unmittelbar nach der langwierigen ersten Sitzung schnell eine weitere Leinwand heranzog, in völlig anderer Verfassung erscheint (Kat. 92). Hier spricht die Musikalität und Sensibilität Weißgerbers beredt aus seinen Zügen. Trotz der Spuren von Erschöpfung auf seinem blassen Gesicht wirkt er beseelt und gelöst. Die Drehbewegung, die man in seinem Oberkörper ahnt, gibt dem gesamten Gemälde Schwung und Lebendigkeit. Mensch und Instrument sind in Einklang, ohne dass Weißgerber spielt. Der lebhafte Fond in seinen changierenden Brauntönen wird zum Resonanzraum. Herausforderung Porträt Corinth wusste um die Herausforderungen, ein gelungenes Porträt zu schaffen, er wusste, es »werden nur solche Porträts von künstlerischem Wert sein, welche dem Maler ›liegen‹«.5 Seine Erfahrung und sein Können führten wohl dazu, dass er sich Weißgerber in der stehenden Version zwar kennenlernend näherte, aber erst danach die Freiheit besaß, dessen Wesen und Eigenart in der sitzenden Version so meisterlich zu treffen. Noch im selben Jahr 1919 fertigte Corinth drei Radierungen mit dem Porträt Weißgerbers. In zweien wiederholte er gemäß seiner gängigen Praxis die Gemäldeversionen. In der Wiederaufnahme des stehenden Geigers verzichtete er allerdings, von spärlichen Raumandeutungen abgesehen, auf jegliches Ambiente im Hintergrund (Kat. 93). Züngeln und vibrieren bei der Umsetzung des Halbporträts zwar die kraftvollen Kaltnadelstriche, so erreicht die Grafik doch nicht mehr die Energie und die Harmonie des glücklichen Moments der Gemäldefassung (Kat. 94). In der dritten Version scheint Corinth mit der Kniefigur nach einer Synthese zu streben, wohl in der Hoffnung, durch den engeren Kat. 92 Lovis Corinth Der Violinist Andreas Weißgerber (BC 776) 1919, Öl auf Leinwand, 95 × 75,2 cm Sammlung des Musée national d’archéologie, d’historie et d’art Luxembourg (MNAHA), Inv.-Nr. 1941-100/261 Kat. 93 ← Lovis Corinth Bildnis Andreas Weißgerber (3. Fassung) (Schwarz 378) 1919, Kaltnadel, 25,7 × 13,9 cm (Platte), 31,3 × 22,2 cm (Blatt) Kunstforum Ostdeutsche Galerie Regensburg, Inv.-Nr. 3882, Dauerleihgabe der Bundesrepublik Deutschland

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