143 Landschaften am Wasser Eine Marke der Landschaftsmalerei Der Walchensee entfesselte Corinths Schaffenslust. Befördert hat dies seine Frau Charlotte, die im verordneten Alleingang – Corinth wollte davon nicht behelligt werden – ein Häuschen am Hang oberhalb des Sees in Urfeld errichten ließ. Dieses Domizil wurde zu einem regelmäßig aufgesuchten Refugium der Familie Corinth, die dort – fernab der hektischen Großstadt Berlin – sorglos und heiter ihre Ferien im Sommer und die Tage um Weihnachten und den Jahreswechsel verbrachte. Bis heute steht der Walchensee geradezu synonym für Corinths fulminante späte Landschaftsmalerei. Schon zu Lebzeiten »konnte er die Walchenseebilder gar nicht so schnell malen, wie sie ihm aus dem Atelier getragen wurden. Sie waren vorbestellt, noch ehe er sie in Arbeit hatte.«2 Der Walchensee wurde eine Marke. Rückzugsort der Familie Neben der Schönheit der Natur, der Abgeschiedenheit und der Ruhe genoss man das ungestörte gesellige und traute Familienleben. Den sicherlich unmittelbarsten Niederschlag fand dieses gelebte Familienglück im Regensburger Skizzenbuch III, dem sogenannten WalchenseeSkizzenbuch.3 Das Büchlein selbst ist ein Weihnachtsgeschenk der damals 13-jährigen Tochter Wilhelmine gewesen. Sie hatte das Heft mit leeren Seiten in der Schule für den Vater gebastelt. Seine Introvertiertheit und Egomanie kennend, hatte sie Sorge, er würde es vielleicht gar nicht zur Kenntnis nehmen und beiseitelegen. Aber etwas anderes geschah: Corinth füllte es Seite für Seite mit den schönsten Zeichnungen.4 Gleichsam im Gegenzug vermachte Corinth das gestaltete Heft nun seiner Tochter, indem er auf dem Spiegel vorne notierte: »Weihnachten 1922 von Wilhelmine. Skizzen in ›Urfeld‹, Walchensee, Januar 1923.« Und gleich auf der ersten Seite zeichnete er sie: Die lesende Wilhelmine mit Katzen (Kat. 118), wie er in brauner Tinte hinzufügte. Das zarte Gesichtchen entspannt, ist die Tochter ganz der Lektüre hingegeben. Sie vergräbt sich in die Kissen zusammen mit den Katzen, die um sie herum lebten. Zum Haushalt zählten auch der Hund Moro, das Pferdchen Strupp und die Ziege Mecki (Kat.119), die alle im Skizzenbuch ihren Platz gefunden haben. Bisweilen sind sie bereits von den vielen, auch früheren, grafischen Folgen und Blättern Corinths bekannt (Kat. 120 und 121). 1 Corinth 1990, S. 33. 2 Corinth 1990, S. 210. 3 Vgl. Best.-Kat. Regensburg 2025, Skizzenbuch III. 4 Corinth 1990, S. 76 f. 5 Corinth 1990, S. 75. Kat. 118 Lovis Corinth Skizzenbuch III (Walchensee-Skizzenbuch, Spiegel vorn und B 1 r) 1922/23, Kreide in Schwarz, 17,8 × 27,0 cm (Blatt) Kunstforum Ostdeutsche Galerie Regensburg, Inv.-Nr. 17450 Kat. 119 Lovis Corinth Skizzenbuch III (WalchenseeSkizzenbuch, B 6 r) 1922/23, Kreide in Schwarz, 17,8 × 27,0 cm (Blatt) Kunstforum Ostdeutsche Galerie Regensburg, Inv.-Nr. 17455
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