Leseprobe

156 Die Geburt der Venus Das Gemälde Die Geburt der Venus (Abb. 1) schuf Corinth im Jahr 1923 mit Ölfarben auf einer vergleichsweise kleinen Leinwand, die er auf einen Arbeitsrahmen gespannt hatte. Eine erste malerische Ausführung dieses Motivs entstand bereits 1896 (BC 132) und ist heute nicht mehr erhalten.9 Auch ein Jahrhundert später springen die unbändige Leuchtkraft der Farben und der expressive, dynamisch pastose Farbauftrag im Regensburger Bild ins Auge. Die Komposition mit dem zentralen Motiv der Liebesgöttin, die als nackte Figur in inkarnatfarbenen, rot-weiß ausgemischten Tönen vor dem tiefen Blau des Himmels aus den schäumenden Meereswellen emporsteigt, besitzt einen skizzenhaften, nahezu abstrakten Charakter. Das strahlende Blau des Himmels und das im leicht dunkleren Farbton gehaltene Wasser scheinen fließend ineinander überzugehen. Über den steinigen Meeresboden mit erhobenem Bein energisch voranschreitend, öffnet Venus ihre Arme weit in die entgegengesetzte Richtung. Dabei wird die Venusfigur nicht nach herkömmlichem ikonografischem Programm von Nymphen und Horen begleitet, sondern von zwei dunklen Meeresgestalten flankiert und in der Luft von fliegenden Amoretten umspielt. Die Darstellung entwickelt sich aus den reinen Farbwerten heraus und ist dadurch stärker an die Fläche gebunden. Einzelne Elemente sind nicht klar in ihrer Form begrenzt, sie zeigen sowohl malerische Übergänge als auch eigentümliche Akzentuierungen, wodurch eine unbestimmte Stofflichkeit erzeugt wird. Durch die besondere Rhythmik der pastosen und üppig mit unterschiedlichen Pinseln modellierten Farbmaterie ergibt sich ein überaus spannungsreiches und lebhaftes Bildmoment, das mit seinen farbigen Kontrasten in den Bann zieht. 9 Siehe Kapitel Das ABC der Motive – V wie Venus, S. 28. 10 Rechnung, 21. 1. 1909, von »O. Weber – Inhaber der G. Bosse’schen GemälderahmenFabrik, DerfflingerStrasse No. 28, Berlin W. an Herrn L. Corinth« im Deutschen Kunstarchiv, Germanisches Nationalmuseum, Nürnberg, Signatur: DKA, NL Corinth, Lovis, I, B-212-1909. 11 Vgl. Bower 2002, S. 16–18. Bower unterscheidet zwei Arten von Pappen: sog. »Pasteboards«, die am häufigsten im 19. Jahrhundert vorkommen, wobei mehrere Papierblätter mittels eines Klebemittels, wie Stärke oder tierischer Leim, übereinander laminiert und zusammengepresst wurden; und sog. »Pasteless boards« bzw. »Couched boards«, die seit Ende des 19. Jahrhunderts erhältlich waren und vollständig ohne Klebstoff hergestellt wurden. Stattdessen wurden die noch nassen Blätter zusammengefügt, gepresst und anschließend getrocknet. 12 Vgl. Pullano et al. 2023, S. 48 f. 13 Siehe Kat. 132 Walchensee bei Mondschein (BC 807), 1920, mit Öl auf Holz gemalt, S. 151; weitere Werke auf Holz, u. a. BC 806, 831, 833, 866; Werke auf Malpappe, u. a. BC 738, 768, 801, 809, 869, 873, 922, 925, 932, 949, 954. 14 Berend-Corinth 1958 a, S. 130.

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