Leseprobe

157 Kunsttechnologische Untersuchungen Untersuchung des Bildträgers Die Leinwand ist nachträglich auf eine etwa 0,5 Zentimeter starke Malpappe kaschiert worden. Dadurch ergeben sich bei dem Gemälde die Maße von 50 × 40,9 × 0,6 Zentimeter, die Leinwand selbst ist etwas kleiner mit nur 49,2 × 39,6 Zentimetern. Die am rechten und am unteren Rand überstehende Pappe wurde nachträglich malerisch angepasst (Abb. 2). Partielle Übermalungen sind auch an den Randbereichen des Originals zu sehen (Abb. 3). Dass die farbliche Anpassung an den Rändern Corinth selbst vorgenommen hat, ist eher unwahrscheinlich, da die Ergänzungen einen wesentlich matteren und wärmeren Blauton aufweisen als die leuchtenden, wohl Ultramarin- und Kobaltblautöne des Gemäldes. Das dünne und dichte Leinwandgewebe ist in Panamabindung hergestellt, mit je zwei Kett- und Schussfäden, die sich kreuzen und gleichmäßig ohne auffällige Webfehler verteilen. Die wahrscheinlich im Handel als Meterware erworbene, weiß vorgrundierte Leinwand ist in das passende Format geschnitten. Kleine Nagellöcher ringsum an den Rändern zeugen davon, dass sie während des Malaktes aufgespannt war. Eine erhaltene Rechnung der Berliner Rahmenhandlung Oskar Weber von 1909 lässt annehmen, dass der Künstler dort vermutlich häufiger den Auftrag gab, »ein Bild auf Pappe zu spannen [bzw.] zu kleben«.10 Die glatt laminierte Rückseite der Pappe weist jedoch keinen Händlerstempel auf. Ihre Struktur scheint aus mehreren Schichten zusammengeklebter Blätter zu bestehen, wobei unter Vergrößerung auch die einzelnen Verbundfasern erkennbar werden. Um den Bildträger stabil zu halten, wurde in jüngerer Zeit ein braunes Nassklebeband um die Kanten geklebt. Pappe als Träger für Malerei ist bereits ab dem späten 18. Jahrhundert nicht mehr ungewöhnlich. Insbesondere mit dem Aufkommen der Pleinair-Landschaftsmalerei wurden die leichten, transportablen Malpappen bei Künstlerinnen und Künstlern zunehmend beliebter. Seit Mitte des 19. Jahrhunderts waren solche cellulosehaltigen, speziell für die Ölmalerei entwickelten Pappen auf dem Kunstmarkt erhältlich.11 Durch die hohe Absorption des Materials trockneten die Farben viel schneller. Die leichte Verfügbarkeit und vielseitigen Verwendungsmöglichkeiten machten das Material besonders für experimentelle Studien interessant.12 Corinth hat auch bei anderen, vor allem kleinformatigen, Werken gerne auf Malpappen oder dünnen, präparierten Holzplatten gearbeitet.13 Er nutzte sie für erste farbige Kompositionsstudien oder expressive Studien in Öl. Jedoch beschäftigte er sich nur wenig mit dem künstlerischen Material an sich. So überließ er beispielsweise die Vorbereitung seiner Werkzeuge und Arbeitsmittel häufig seiner Frau. Charlotte Berend-Corinth beschrieb in diesem Zusammenhang, dass den Künstler meist kurz vor Beginn einer neuen Arbeit eine sehr große Unruhe befiel, die ihn »ungenießbar« werden lassen konnte. In ihren Erinnerungen schilderte sie Corinths Wutanfall, kurz bevor er sich zu einem Motiv am Walchensee aufmachte: »Deiwel nochmal, so was Verfluchtes, jetzt, wo ich nun fortgehen will, ist die verfluchte Pappe verbogen, und das scheußliche Papier ist ab, denn die Reißnägel sind abgeflogen. Kannst du so was nicht besser machen? und wie sieht das Wasser aus? Deiwel noch mal, wo sind die Pinsel?«14 Die dünne Pappe wurde also vermutlich von Charlotte vorbehandelt und eventuell geleimt. Um ein feuchtebedingtes Aufrollen zu verhindern, hatte sie die Pappe wahrscheinlich mit Hilfe von Klebebändern und Reißnägeln auf einem Untergrund befestigt. Abb. 1 ← Lovis Corinth Die Geburt der Venus (BC 920) 1923, Öl auf Leinwand/ kaschiert auf Pappe, 50 × 40,9 cm Kunstforum Ostdeutsche Galerie Regensburg, Inv.-Nr. 18708, Dauerleihgabe der Bundesrepublik Deutschland Abb. 3 Die Geburt der Venus, Detail Rechter Rand mit Übermalung des Originals Abb. 2 Die Geburt der Venus, Detail Untere rechte Bildecke mit Signatur des Künstlers »LOVIS CORINTH 1923«; am unteren und rechten Rand nachträgliche farbliche Ergänzungen auf der Pappe

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