17 Corinth und seine Bilder Lovis Corinth ist eine der bedeutendsten deutschen Künstlerpersönlichkeiten der Moderne. Mit seiner puren und absoluten Malerei prägte er die Kunst des 20. Jahrhunderts. Zugleich ist er fest im 19. Jahrhundert verwurzelt. 2025 jährt sich sein Todestag zum 100. Mal – Anlass für eine eingehende Analyse der Bildgenese des Künstlers. Die Bearbeitung und Auswertung des Bestands von zwölf Skizzenbüchern von Lovis Corinth in der Grafischen Sammlung des Kunstforums Ostdeutsche Galerie in Regensburg (KOG) ermöglicht erstmals in größerem Umfang einen detaillierten Einblick in seinen Arbeitsprozess. Welche Motive interessierten Corinth, welche Begebenheiten oder Einfälle hielt er spontan in seinen Skizzenbüchern fest, im Studium oder auf Reisen? Und welche flüchtigen Eingebungen formierten sich schließlich zu bildtauglichen Szenen? Die Skizzenbücher spiegeln verschiedene Phasen aus Corinths Schaffenszeit. Sie reichen aus dem Jahr 1876, seinem ersten Studienjahr an der Kunstakademie in Königsberg (heute Kaliningrad, Russland), bis in die 1920er-Jahre am oberbayerischen Walchensee – die Periode, als er auf dem Zenit seines Ruhms angelangt war. Alle zwölf Skizzenbücher sowie ein von Corinth mit eingeklebten Zeichnungen gefülltes »Skizzen-Album« werden in einem begleitenden Bestandskatalog vollständig veröffentlicht und der Forschung zugänglich gemacht.2 Ansinnen des vorliegenden Ausstellungskataloges ist es, anhand der Skizzenbücher exemplarisch den Prozess zu veranschaulichen, wie Corinth seine Gemäldekompositionen sorgsam Schritt für Schritt entwickelte. Gilt Corinth gemeinhin als Inbegriff des genialischen Schnellmalers, so wird diese Vorstellung dahingehend korrigiert werden müssen, dass er es zwar vermochte, »ein Bild geschickt herunterzuhauen«,3 bei dem alles saß, dass er dafür aber bereits – für Außenstehende unsichtbar – erhebliche gedankliche und visuelle Vorarbeit geleistet hatte (Abb. 1). Malerei und Grafik sind bei der Untersuchung der Werkgenese nicht voneinander zu trennen. Die Verschränkung und Vernetzung der unterschiedlichen Bildmöglichkeiten und -wirkungen, die Corinth gezielt durch den Einsatz verschiedener künstlerischer Techniken und Mittel erzeugte, wurde bislang wenig gewürdigt.4 Dabei ist dieses Arbeiten regelrecht als ein wesenhafter Zug von Corinth zu werten. Die Wechsel von Grafik zu Malerei und umgekehrt bedingen sich zwingend. Gerade durch das erweiterte intermediale Ausspielen hat Corinth die einem Motiv innewohnenden gestalterischen Möglichkeiten nach seiner persönlichen Maßgabe bis zur Perfektion getrieben. Corinth in der Regensburger Sammlung Die aufgrund ihrer Korrespondenz mit den Skizzenbüchern ausgewählten Gemäldekompositionen, die in diesem Katalog hinsichtlich ihrer Entstehung untersucht werden, erstrecken sich von – zuweilen in Vergessenheit geratenen – Frühwerken bis hin zu den späten, berühmten Walchenseebildern. Die Abfolge orientiert sich weitestgehend an einer Chronologie von Hauptwerken innerhalb der Gemälde und nimmt Themenstränge da auf, wo sie am prägnantesten auftreten. Allerdings dient dies nur als vages Gerüst, da viele Motive zeitlebens gültig 1 Lovis Corinth: Gedanken über den Ausdruck ›das Moderne in der bildenden Kunst‹ und was sich daran anknüpft, in: Englert 1995, S. 85–91, hier S. 85. 2 Best.-Kat. Regensburg 2025. 3 Kuhn 1925, S. 66. 4 Bislang wurde die werktechnische Herangehensweise Corinths an die Ausarbeitung seiner Kompositionen über Skizzenbuch, Vorzeichnungen und Ölskizze nur einmal untersucht von Gerhard Gerkens, in: Ausst.-Kat. Bremen 1975, S. 40–48, anhand des Gemäldes Die Kindheit des Zeus, 1905/06. – Summarisches Herausstellen einzelner Verbindungen von Skizzenbuchblättern zu Gemäldekompositionen in: Ausst.- Kat. Bremen 1975 a. Abb. 1 Handbild von Lovis Corinth, 26. Februar 1925, aus: Handbilder berühmter Künstler Nürnberg, Germanisches Nationalmuseum, Deutsches Kunstarchiv
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