Lovis Corinth Die Skizzenbücher im Kunstforum Ostdeutsche Galerie um he urg
2 Brial du s Lovis Corinth
3 sch Die Skizzenbücher im Kunstforum Ostdeutsche Galerie Bestandskatalog herausgegeben von Sebastian Schmidt für das Kunstforum Ostdeutsche Galerie Regensburg bearbeitet von Sebastian Schmidt unter Mitwirkung von Christiane Adolf, Patricia Bethlen und Mona Stocker Sandstein Verlag
6 Vorwort 9 Grußwort Sebastian Schmidt 10 Werden und Vergehen Die Skizzenbücher Lovis Corinths im Kunstforum Ostdeutsche Galerie 26 Skizzenbuch I 52 Skizzenbuch II 76 Skizzenbuch III 90 Skizzenbuch IV 118 Skizzenbuch V 148 Skizzenbuch VI 168 Skizzenbuch VII 186 Skizzenbuch VIII 206 Skizzenbuch IX 230 Skizzenbuch X 248 Skizzenbuch XI 270 Skizzenbuch XII 296 Skizzen-Album Anhang 318 Literaturverzeichnis 319 Bildnachweis 320 Impressum Inhalt
10 »Jedes Werden bedingt ein Vergehen, jedes Leben fordert einen Tod, jede Bewegung geschieht auf Kosten anderer. Ein end- und ruheloser Kampf ums Dasein, unter dem der mit Verstand und Gefühl so hoch begabte Mensch unendlich mehr leidet als die unscheinbaren Lebewesen, deren der Mensch hunderte mit einer Bewegung vernichtet. Seit Jahrtausenden war alle menschliche Culturarbeit darauf gerichtet, das natürliche, aber brutale Recht des Stärkeren zu bannen und durch eine befreiende Weltordnung zu ersetzen. Heute, am Ende so langer und grosser Mühen erscheint uns unser Geschick unentrinnbar, unvermeidlich. Statt Ruhe, Friede, Harmonie ein endloser Kampf, Zerstörung, Missklang, soweit überhaupt Leben und Bewegung reicht.«1 Alois Riegl, Die Stimmung als Inhalt der modernen Kunst WWerden und Vergehen Die Skizzenbücher Lovis Corinths im Kunstforum Ostdeutsche Galerie Sebastian Schmidt
11 Die Gegenwart im Bild Hoch konzentriert und souverän schaut Lovis Corinth aus einem Selbstporträt, das er im Alter von etwa 20 Jahren in ein querformatiges Skizzenbuch zeichnete (Abb. 1). Der Grad der Ausarbeitung der einzelnen Partien innerhalb der Figur lenkt den Blick beim Betrachten unweigerlich auf das Gesicht und die Finger des sich selbst Abbildenden. Beim Halten des Buches präsentiert der Zeichner einen auffälligen Ring, der die Aufmerksamkeit beinahe ebenso stark auf sich zieht, wie Corinths durchdringend blickende Augen. Tatsächlich sprach die Tochter des Künstlers, Wilhelmine Corinth-Klopfer (1909–2001), von dem »Selbstportraet mit Ring«, als sie das aus dem ursprünglichen Kontext eines Buches herausgelöste Einzelblatt 1984 an die damalige Ostdeutsche Galerie verkaufte.2 Ein wesentlicher Aspekt dieses Selbstbildnisses resultiert jedoch weniger aus dem selbstbewusst zur Schau gestellten Ring, sondern aus dem Blick des Künstlers, der als ein »Blick aus dem Bild« nur unzureichend beschrieben und verstanden werden kann. Wenn man in Betracht zieht, dass die Zeichnung vor einem Spiegel entstanden ist, entwickelt sich ausgehend von dieser zunächst banal erscheinenden Voraussetzung eine nicht aufzulösende wechselseitige Rückkopplung der unterschiedlichen Bedeutungseben des Begriffs der Reflexion zwischen optischem Widerschein und schöpferischer Selbstbetrachtung. Nicht zuletzt die Frontalität der seitenverkehrten Darstellung, die dem Eindruck des Spiegelbildes entspricht, und die scheinbare Gegenwärtigkeit des Beobachtens und Zeichnens sind es, die es beim – reflektierten – Betrachten des Skizzenblattes gleichsam erlauben, Corinths Blick in den Spiegel nachzuspüren (vgl. auch Abb. 2). Umgekehrt lässt sich ausgehend von dieser Überlegung herausarbeiten, wie der gewählte Darstellungsmodus, der Authentizität und Unmittelbarkeit suggeriert, dem privaten Charakter eines nicht für die Öffentlichkeit bestimmten Skizzenbuches geradezu idealtypisch entspricht. So wie das Buch, das in der Hand des zeichnenden Künstlers zu sehen ist, einst tatsächlich dieses Selbstporträt enthalten hat, so war allein der Künstler als idealer Betrachter seines Werkes dazu in der Lage, in dem eindringlichen Blick aus dem Bild den eigenen Blick in den Spiegel wiederzuerkennen. Insofern geht Corinths Selbstporträt mit Ring über die konventionelle Funktion eines Bildnisses hinaus, welche im Kern darin bestehen dürfte, die äußere Erscheinung, den Habitus einer Person über Zeit und Raum hinweg zu bewahren. Weniger im Bestreben, die vergehende Zeit im Bild anzuhalten, bestünde demnach das Interesse, sondern vielmehr darin, sich beim Betrachten des Bildes dessen Schaffensprozess als einen Akt der Selbstreflexion virtuell immer Abb. 1 Lovis Corinth Selbstporträt mit Ring, Ziehharmonikaspieler (Skizzenbuch II, B 28 r), 1878, Bleistift, bez. mit Bleistift u. r.: Selbstporträt, etwa 1878 / Wilhelmine Corinth; dazwischen Stempel in Braun in Rechteck: ATELIER-LOVIS CORINTH, 18,7 × 27,4 cm (Blatt); Kunstforum Ostdeutsche Galerie Regensburg, Inv.-Nr. 14139, recto Michael F. Zimmermann zum Gedächtnis 1 Riegl 1899, S. 48. Vgl. Zimmermann 2008, S. 120 f. 2 Wilhelmine CorinthKlopfer, New York, Schreiben vom 3. 1. 1984 und 20. 2. 1984 an Dr. Werner Timm, Regensburg; Kunstforum Ostdeutsche Galerie Regensburg, Archiv. Vgl. Ausst.-Kat. Bremen 1975, Nr. 4.
12 Abb. 3 Lovis Corinth Sitzendes Mädchen, Maler und Modell (Skizzenbuch II, B 28 v), um 1878, Bleistift, 18,7 × 27,4 cm (Blatt); Kunstforum Ostdeutsche Galerie Regensburg, Inv.-Nr. 14139, verso Abb. 4 Lovis Corinth Selbstporträt (2 Spiegel) (Skizzenbuch XI, B 19 v), um 1914/18, Bleistift, 18,9 × 12,2 cm (Blatt); Kunstforum Ostdeutsche Galerie Regensburg, Inv.-Nr. 19092, Dauerleihgabe der Bundesrepublik Deutschland Abb. 2 Lovis Corinth Selbstporträt (Skizzenbuch XII, B 22 r), 1883, Bleistift, 18,8 × 11,5 cm (Blatt); Kunstforum Ostdeutsche Galerie Regensburg, Inv.-Nr. 21060
13 wieder vergegenwärtigen zu können.3 Deutlich wird dies im Unterschied zu einer gewöhnlichen Porträtsitzung mit Modell, wie sie auf der Rückseite desselben Blattes dargestellt ist (Abb. 3). Unter Zuhilfenahme eines zweiten Spiegels hatte sich Corinth bei anderer Gelegenheit dazu in die Lage versetzt, sich selbst gewissermaßen »von außen« betrachten und zeichnen zu können (Abb. 4). Das Ergebnis, eine Dreiviertelansicht des eigenen Kopfes, beschäftigte Corinth offenbar so sehr, dass er sich auf dem nächsten Blatt sogar noch ein zweites Mal daran versuchte.4 Trotz seines konzentrierten Blickes, der in diesen Skizzen ebenfalls zu erkennen ist, bleibt deren Wirkung deutlich hinter der des Selbstporträts mit Ring zurück. Dies ist wahrscheinlich auch deshalb der Fall, weil Letzteres dazu einlädt, den Künstler aus dessen eigener Perspektive, gleichsam mit seinen Augen zu betrachten. Wohl auch deshalb wurde es als Illustration für Corinths postum erschienene Selbstbiographie ausgewählt, in der der Künstler die Authentizität seiner Darstellung (»Wahrheit war mein Prinzip.«5) ebenso betont, wie es das Selbstporträt suggeriert, das nicht mehr und nicht weniger zu sein vorgibt als ein getreues Ebenbild, welches man im Spiegel erblickt.6 Es ist daher nicht unwahrscheinlich, dass das Blatt aus dem Skizzenbuch herausgeschnitten wurde, um es als Vorlage für entsprechende Reproduktionen verwenden zu können. Charlotte Berend-Corinth (1880–1967) erläutert in dem auf Silvester 1925 datierten Vorwort zu der von ihr herausgegebenen Selbstbiographie ihres verstorbenen Mannes die Beweggründe für die Auswahl der »Bilderbeigabe«: »Unter den losen Zetteln fand ich auf einem [F]olgendes: ›Lebensbeschreibung oder Biographie: Der Maler würde es ein durch Worte geschaffenes Selbstporträt nennen. [...]‹ Diese Worte leiteten mich, den anfangs angegebenen Wunsch so auszudehnen, daß die Bilderbeigabe zu Corinths Lebensbeschreibung fast nur aus seinen Selbstbildnissen bestehen sollte. Diese Porträts aus seiner Jugend sind aus seinen Skizzenbüchern genommen, die späteren aus seinem Zeichenschrank«.7 Das Werden der Sammlung Auch durch das Ausblenden der Figur des sitzenden Ziehharmonikaspielers, die eigentlich auf der Seite neben dem Selbstporträt zu sehen ist, erweckt die Reproduktion in der Selbstbiographie den Eindruck eines selbstständigen Kunstwerks. Eingebunden in den ursprünglichen Zusammenhang eines Skizzenbuches war die Zeichnung jedoch alles andere als autonom. Sie war – wie selbst das entnommene Blatt mit seinen einzelnen Motiven noch erkennen lässt – umgeben von Skizzen, Entwürfen und gelegentlichen schriftlichen Notizen unterschiedlicher Funktion und Wertigkeit. Das Herauslösen aus diesem Kontext verändert nicht nur die Wahrnehmung des Sammlungsobjekts. Es bedeutet zwangsläufig auch einen Verlust an historischen und künstlerischen Sinnzusammenhängen, die aufgrund der Fragmentierung überhaupt nicht mehr in den Blick geraten können. Insbesondere am Beispiel der Skizzenbücher, die der Künstler auf Reisen verwendete, lassen sich etwa anhand von Notizen zu Bahnverbindungen und Hotels skizzierte Ansichten identifizieren und Argumente für Datierungen finden. Solche Vermerke sind auf Einzelblättern seltener anzutreffen, wahrscheinlich auch deshalb, weil sie häufig auf den Spiegeln, das heißt auf den Innenseiten der Buchdeckel, zu finden sind, wo sie im Bedarfsfall sofort aufgeschlagen werden konnten.8 Im Rahmen der Vorbereitung dieser Edition ist es gelungen, die Zugehörigkeit dieses Einzelblattes zum Skizzenbuch II nachzuweisen.9 Nicht nur aufgrund der Beschaffenheit des Papiers und der (in diesem Fall) individuellen Spuren der Fadenheftung, also anhand der Löcher und Abdrücke im Falz, ist die Zuordnung zu begründen. Vermutlich ein Jahrhundert nachdem das Blatt aus dem Buch entnommen worden war, ließ sich sogar die ursprüngliche Position des Blattes aufgrund der Abklatschspuren der Zeichnungen auf den benachbarten Blättern bestimmen.10 Anders als das Einzelblatt wurde das Skizzenbuch II 1993 im Kunsthandel erworben. Allerdings befand es sich zuvor im Besitz von Thomas Corinth (1904–1988), dem Sohn des Künstlers, der es der Stiftung bereits Anfang der 1980er-Jahre gemeinsam mit Skizzenbuch I in dem Wissen angeboten hatte, dass zuvor sein Vater »Seiten ausgerissen und verkauft hatte«.11 Tatsächlich scheint es so, als habe sich zumindest dieses ein Blatt (von insgesamt 14 Blättern, die in Skizzenbuch II fehlten) noch bis zum Tod des Künstlers in dem Skizzenbuch befunden. Charlotte BerendCorinth könnte es wenig später herausgelöst und separat aufbewahrt haben, nachdem sie es in der Selbstbiographie Corinths hatte publizieren lassen. Vorausgesetzt, dass Corinths Witwe das Blatt aus dem Skizzenbuch entnommen hatte, wäre es denkbar, dass der Nachlassstempel »ATELIER-LOVIS CORINTH« unten rechts auf der Seite mit dem Selbstporträt mit Ring bereits 1925/26 angebracht worden ist.12 Spätestens nach ihrem Tod im Jahr 1967 war die ursprüngliche Zugehörigkeit zu Skizzenbuch II vermutlich in Vergessenheit geraten. In einem anderen Fall konnte ebenfalls ein Einzelblatt aus dem Bestand der Grafischen Sammlung des Kunstforums Ostdeutsche Galerie einem der Skizzenbücher zugeordnet werden, wobei nicht nur das entsprechende Papier, sondern auch der thematische Zusammenhang mit anderen enthaltenen Entwürfen als Argumente für die Zugehörigkeit angeführt werden können.13 Ähnlich verhält es sich wohl auch mit zwei Skizzenblättern, die Corinth im Rahmen seiner Italienreise 1883 in Torbole am Gardasee geschaffen und später wahrscheinlich aus Skizzenbuch VI 3 Vgl. Zimmermann 2016, bes. S. 75 f., 99 f. 4 Vgl. Skizzenbuch XI, B 20 v. 5 Corinth 1926, unpaginiert (Vorwort für die postum zu veröffentlichende »eventuell Ausgabe« der autobiografischen Schriften, verfasst am 20. 9. 1923). 6 Corinth 1926, Abb. nach S. 72; vgl. Corinth 1954, Abb. vor S. 49. In beiden Fällen ist 1878 als Datierung angegeben. 7 Charlotte Berend- Corinth im Vorwort zu Corinth 1926, unpaginiert. 8 Zu Notizen in Skizzenbüchern siehe Schoch 2019. 9 Weitere Blätter wohl in Ausst.-Kat. Bremen 1975, Nr. 5–8, hier: Nr. 4. Vgl. auch Skizzenbuch VI, dem ebenfalls ein Einzelblatt aus dem eigenen Bestand zugeordnet werden konnte. 10 Vgl. Skizzenbuch II, B 28. 11 Thomas Corinth, New York, Schreiben vom 22. 11. 1981 an Dr. Ernst Schremmer, Künstlergilde Esslingen, zugleich Vorstandsmitglied der Ostdeutschen Galerie Kunstforum Ostdeutsche Galerie, Archiv. Vgl. Skizzenbuch I und II. 12 Den Stempel verwendete in den 1980er-Jahren Thomas Corinth, anscheinend aber nicht dessen Schwester Wilhelmine. Siehe dazu bes. Skizzenbuch I und II, vgl. Skizzenbuch III und das SkizzenAlbum. 13 Vgl. Skizzenbuch VI.
14 14 Skizzen-Album, B 8 r, 9 r. 15 Vgl. Skizzenbuch X und XI. 16 Skizzenbuch XI, B 35 v–37 r. 17 Vgl. Skizzenbuch XI, B 2 r, 29 v, 30 r. 18 Vgl. etwa die Figur des Falstaff aus Shakespeares Komödie Die lustigen Weiber von Windsor in Skizzenbuch IX, B 36 v. 19 Skizzenbuch IV und V. 20 Vgl. Skizzenbuch VI, VII, Skizzen-Album, B 8 r, 9 r. 21 Im Kupferstichkabinett der Kunsthalle Bremen sind vier weitere Skizzenbücher Corinths zu finden; vgl. Aukt.-Kat. Hauswedell, Hamburg, 6. 6. 1964, Nr. 397; Bremen 1965, Nr. 69–72, Abb. S. 68 f., 84 f.; Deecke 1973, Nr. 1977, S. 99; Ausst.-Kat. Bremen 1975, Nr. 29, 61, 98, 144. Die Grafische Sammlung der Abb. 5 Lovis Corinth Fasane und Hühner (sechs Skizzenbuchblätter, B 1), um 1910/15, Bleistift, 18,0 × 27,3 cm (Blatt); Kunstforum Ostdeutsche Galerie Regensburg, Inv.-Nr. 19108.1, Dauerleihgabe der Bundesrepublik Deutschland Abb. 6 Lovis Corinth Zwei Hähne, einander gegenüberstehend (sechs Skizzenbuchblätter, B 2), um 1910/15, Bleistift, 18,0 × 27,3 cm (Blatt); Kunstforum Ostdeutsche Galerie Regensburg, Inv.-Nr. 19108.2, Dauerleihgabe der Bundesrepublik Deutschland des Bogenschützen mit Helmbusch (Abb. 11) und einer Radierung aus der Zeit um 1914 (Schwarz 181), wenngleich die merkwürdig fragmentierte Figur in der Zeichnung von der dortigen plastisch modellierten Körperdarstellung deutlich abweicht. Auch wenn diese Verbindungen die vorgeschlagene Datierung begründen helfen, ist zu bedenken, dass Corinth seine Skizzenbücher auch als Gedächtnisstütze verwendete und unter Umständen erst in späterer Zeit auf alte Bildideen und Studien zurückgriff.18 Die Nummerierung der zwölf Skizzenbücher im Bestand des Kunstforums Ostdeutsche Galerie geht auf den Sohn des Künstlers, Thomas Corinth, zurück, der dem Haus 1981/82 die von ihm so bezeichneten Skizzenbücher »#I« und »#II« anbot. Sein Hinweis, dass die »zwei in Frage kommenden Lovis Corinth-Skizzenbuecher« (aus der größeren Auswahl, über die er verfügte), »Ostpreussische Motive etc. enthalten«, dürfte dem besonderen Sammlungsschwerpunkt des Hauses geschuldet gewesen sein. Tatsächlich haben sich später zwei andere Skizzenbücher als noch etwas älter erwiesen, wenngleich sie ebenfalls während Corinths entnommen hat, um sie in das großformatige Skizzenbuch-Album einzukleben,14 in welchem er frühe Zeichnungen von besonderem emotionalem Wert und persönlicher Bedeutung vereinte. Ein Konvolut von sechs losen Skizzenblättern (Abb. 5–11), die zusammen mit Skizzenbuch IX erworben wurden, in welches sie lose eingelegt waren, lässt sich hingegen keinem der Skizzenbücher zuordnen. Anhand der sicheren und zugleich lockeren Bleistiftzeichnungen kann man für eine Entstehung in der Zeit um 1910/15 argumentieren.15 Beispielsweise sind die Studien von Fasanen und Hühnern (Abb. 5) gut vergleichbar mit einigen ähnlichen Motiven im Skizzenbuch XI, das Corinth während des Ersten Weltkriegs verwendete.16 Auch für das Blatt, das eine in tänzerischer Bewegung erfasste Figuren- beziehungsweise Gewandstudie zeigt (Abb. 8), finden sich dort Anknüpfungspunkte.17 Darüber hinaus bestehen Bezüge zu Corinths Malerei und Druckgrafik. So weist die nach oben blickende Frau (Abb. 7) Ähnlichkeit mit Gemälden der Weinenden Magdalena und der Büßenden Magdalena aus dem Jahr 1911 (BC 471, 472) auf. Eine Verwandtschaft besteht außerdem zwischen dem Motiv
15 Abb. 7 Lovis Corinth Frau, nach oben blickend (sechs Skizzenbuchblätter, B 3), um 1910/15 (1911?), Bleistift, 18,0 × 27,5 cm (Blatt); Kunstforum Ostdeutsche Galerie Regensburg, Inv.-Nr. 19108.3, Dauerleihgabe der Bundesrepublik Deutschland Abb. 8 Lovis Corinth Figurenstudie (sechs Skizzenbuchblätter, B 4), um 1910/15, Bleistift, 18,0 × 27,2 cm (Blatt); Kunstforum Ostdeutsche Galerie Regensburg, Inv.-Nr. 19108.4, Dauerleihgabe der Bundesrepublik Deutschland Königsberger Studienzeit zwischen 1876 und 1880 zu datieren sind.19 Diese Bücher, die bis zu Thomas Corinths Tod 1988 ebenfalls in dessen Besitz gewesen waren, konnten 1996 dank der Unterstützung der Bundesrepublik Deutschland in einem Konvolut von acht Exemplaren aus dem Kunsthandel erworben werden. Innerhalb der Nummerierung dieser acht Bücher besteht zwar eine chronologische Ordnung, doch war zwischenzeitlich das sogenannte Walchensee-Skizzenbuch, dessen Kreidezeichnungen im Winter 1922/23 entstanden, von Thomas’ Schwester Wilhelmine Corinth-Klopfer angekauft worden. Als man sich bei der Inventarisierung dieses Konvoluts dazu entschieden hat, mit den Nummern IV bis XI an das Walchensee-Skizzenbuch anzuschließen, das fortan als Nummer III gezählt wurde, etablierte man eine eigene Terminologie, die nicht der Abfolge der Entstehung der enthaltenen Zeichnungen, sondern der Sammlungsgeschichte des Hauses entspricht. Das 2013 als letztes der zwölf Regensburger Corinth-Skizzenbücher erworbene Exemplar ist zwar bislang unter dem Titel »Skizzenbuch einer Reise nach Süddeutschland, um 1885« geführt worden, doch erscheint es im Rahmen dieses Bestandskatalogs zweckmäßig, konsequenterweise vom Skizzenbuch XII zu sprechen. Ohnehin ist der beschreibende Titel irreführend, da es sich genau genommen um eine Reise von der Sächsischen Schweiz bis nach Innsbruck handelt, wie anhand der Veduten und schriftlichen Notizen nachvollzogen werden kann. Zudem spricht vieles dafür, dass es hierbei nicht um eine eigenständige Reise ging, sondern vielmehr um den Hinweg zu der Italienreise, die der Künstler 1883 bekanntlich gemeinsam mit seinem Vater unternommen hat.20 Mit dem Skizzen-Album Lovis Corinths, das 1989 von Wilhelmine Corinth-Klopfer erworben wurde, die sich nach dem Tod ihres Bruders als letztes verbliebenes Familienmitglied um den Nachlass ihres Vaters sorgte, konnte die Skizzenbuch-Sammlung um eine autobiografische oder familiengeschichtliche Auswahl von Zeichnungen ergänzt werden, die Corinth selbst in dieser Form zusammengestellt und mit Anmerkungen versehen hatte. Neben diesem Album, welches als »Heiligtum« von Corinths Erben in Ehren gehalten worden war, vertraute die Tochter des Künstlers 1988/89 der damaligen Ostdeutschen Galerie mit dem Walchensee-Skizzenbuch noch ein weiteres Objekt von herausragender kunsthistorischer wie emotionaler Bedeutung an, das von Beginn an zu den Glanzstücken der Sammlung des Hauses zu rechnen war. In Folge dieser zweifellos glücklich zu nennenden Erwerbungsgeschichte ist heute ein wesentlicher Teil der erhaltenen Skizzenbücher Lovis Corinths in der Grafischen Sammlung des Kunstforums Ostdeutsche Galerie in Regensburg vereint.21 In Anbetracht der daraus resultierenden Kunsthalle Kiel bewahrt das großformatige Pariser Skizzenbuch, um 1886, Inv.-Nr. 1964/KH 567-1–86; vgl. Aukt.-Kat. Hauswedell, Hamburg, 28. 11. 1964, Nr. 80; Deecke 1973, Nr. 26–28, 30–38, S. 39; Ausst.-Kat. Bremen 1975, Nr. 25 sowie Schnackenburg 1977, S. 168, Anm. 1, wonach zwei weitere Exemplare über den Handel (Aukt.-Kat. Hauswedell, Hamburg, 6. 6. 1964, Nr. 397 und 29. 5. 1965, Nr. 499) »an einen Händler in Los Angeles [gelangten], der sie auseinandernahm und die Blätter einzeln verkaufte. (Freundliche Mitteilung von Herrn Thomas Corinth.)«. Für ihre Unterstützung sei Dr. Annett Reckert, Bremen, und Dr. Dörte Zbikowski, Kiel, sehr herzlich gedankt.
28 28 Skizzenbuch I Das Skizzenbuch I wurde 1982 mit Mitteln der Bundesrepublik Deutschland als Dauerleihgabe für die Sammlung des Kunstforums Ostdeutsche Galerie vom Sohn des Künstlers, Thomas Corinth (1904–1988), erworben. Lovis Corinth verwendete das Skizzenbuch I bereits während seines Studiums an der Königsberger Akademie in den späten 1870er-Jahren sowie in der anschließenden Münchner Zeit und vermutlich auch noch in Antwerpen, wo 1884 das Gemälde Angst beziehungsweise In Angst (Abb. 1, BC 984) entstand, das einen jungen Badenden zeigt, der vor Fröschen aus einem Teich flüchtet. Mehrere Studien und Entwürfe aus Skizzenbuch I rekurrieren unmittelbar auf dieses Werk, welches Corinth nach eigener Auskunft 1889/90, »zerschmettert« wegen des ausgebliebenen Erfolgs, »aus Rache« übermalt haben will.1 Die einzige explizite Datierung innerhalb des Buches betrifft die Bleistiftskizze eines vierspännigen Pferdewagens, welche demnach 1878 in der südlich von Königsberg gelegenen Ortschaft »Anweiden« (Aweiden, heute Juschny, Oblast Kaliningrad, Russland) geschaffen worden ist.2 Die Unsicherheiten hinsichtlich der Entstehung der einzelnen enthaltenen Zeichnungen treten allerdings bereits an diesem einen Blatt hervor, zumal sich darauf nicht nur der Pferdewagen, sondern umseitig auch der maßgebliche Kompositionsentwurf zu Angst befindet. Diesen könnte Corinth prinzipiell schon einige Jahre vor der Ausführung des Gemäldes 1884 erarbeitet haben. Ebenso wäre es denkbar, dass er noch in Antwerpen in ein älteres Skizzenbuch zeichnete. Selbst die Möglichkeit, dass der Künstler (sei es beabsichtigt oder nicht) Jahre nach der Ausführung eine Zeichnung falsch datierte, lässt sich nicht mit der nötigen Sicherheit ausschließen. Eine Kompositionsstudie mit zwei Figuren weist motivisch sogar in die ersten Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts,3 wenngleich die Verwandtschaft mit dem 1917 enstandenen Gemälde Zentaurenpaar (Abb. 2, BC 1002) letztlich zu vage ist, um von einer unmittelbaren Verbindung ausgehen zu können.4 In jedem Fall deutet der Umstand, dass der Pferdewagen mit Signatur, Ortsangabe und Datierung in besonderer Weise aufgewertet worden ist, auf eine separate Präsentation dieses Motivs hin, für die der Künstler das Blatt zu einem unbekannten Zeitpunkt vermutlich selbst aus dem Buch herausgetrennt hat. Der rote Zollstempel oben links kann als ein weiteres Indiz für diese Annahme angeführt werden. Die erklärungsbedürftigen Seitenzahlen »0« beziehungsweise »0 v« auf dem signierten Blatt sprechen zudem für ein nachträgliches Einsortieren in eine bereits bestehende Seitenzählung. Diese Vermutung legt auch Thomas Corinth in einem Schreiben an Dr. Ernst Schremmer, Vorstandsmitglied der Stiftung der Ostdeutschen Galerie, im Vorfeld des Ankaufs nahe, wonach das fragliche Blatt erst 1981/82 in das Skizzenbuch zurückgelegt worden wäre.5 Es ist davon auszugehen, dass die durchlaufende Seitenzählung, die keine Rücksicht auf die originale Abfolge nimmt, aus der Zeit nach dem Tod des 1925 verstorbenen Künstlers stammt. Als die Skizzenbuchblätter ihre Paginierung erhielten, war die Bindung des Buches – dem heutigen Zustand entsprechend – weitestgehend aufgelöst. Thomas Corinth führt an gleicher Stelle für den relativ schlechten Erhaltungszustand dieses (und eines weiteren, aus KostenAbb. 1 Lovis Corinth In Angst (BC 984), 1884, Öl auf Leinwand, Maße und Verbleib unbekannt, Zentralinstitut für Kunstgeschichte, München, Photothek 1878 bis um 1884 Inv.-Nr. 12448 Dauerleihgabe der Bundesrepublik Deutschland 1982 erworben von Thomas Corinth, New York 21,0 × 26,9 × 2,1 cm (gesamt) 19,7 × 25,9 cm (Blatt) Hartbroschur, Graupappe mit schwarzem Papier bezogen, schwarzes Gewebe an Rücken und Ecken, Verschlussbänder aus dunkelbraunem Gewebe, eines fehlt; oben Stiftlasche aus dünnem Karton mit braunem Gewebe bezogen. Ursprüngliche Fadenheftung aufgelöst, zwei Heftbünde aus hellem Gewebeband. Vorgeklebte Vorsätze, fliegendes Blatt vorn fehlt. Ursprünglich 48 Blatt in 6 Lagen sowie zwei fliegende Blätter, im Buch erhalten sind 43 Blatt, wobei ein Blatt (S. 39/40) aufgrund seiner Beschaffenheit als ursprünglich nicht zugehörig anzusehen ist.
29 Skizzenbuch I 1 Corinth 1917; Corinth 1979, S. 228, 385 zu Abb. 17. Nach der zweiten Auflage des Werkverzeichnisses gilt der Verbleib des Gemäldes Angst (BC 984), das zuvor unter dem Küchenstilleben, Schellfisch und Rindfleisch, 1889 (BC 68) vermutet wurde, wieder als unbekannt. Der Hinweis auf Ausst.- Kat. New York/Toronto 1981 führt jedoch ins Leere (2. Aufl., S. 209). Vgl. dazu auch Mona Stocker in Ausst.-Kat. Regensburg 2025/26, S. 66. 2 Zu dem Ortsnamen vgl. auch das frühe Gemälde »Aweider Park in Königsberg«, 1879 (BC 1). 3 Skizzenbuch I, S. 53. 4 Vgl. etwa die ähnlichen Kompositionen Der Kuß, 1910 (BC 418), und Umarmung, 1910 (BC 416). 5 Thomas Corinth, New York, Schreiben vom 22. 11. 1981 an Dr. Ernst Schremmer, Esslingen. Kunstforum Ostdeutsche Galerie Regensburg, Archiv. Vgl. Skizzenbuch II, B 13, das ebenfalls mit dem Zollstempel versehen ist und von Thomas Corinth in das Buch zurückgelegt wurde. 6 Siehe Skizzenbuch II. 7 Vgl. Ausst.-Kat. Bremen 1975, Nr. 9: Landschaft mit Erntewagen und zwei Frieskompositionen, verso: zwei Studien eines Hundes), Nr. 10: zwei Angler im Boot und Pferdestudien, verso: Pferdekopf, Nr. 11: Sängerin im Nachtlokal, verso: Figurenstudien. Die Blätter aus einem aufgelösten Skizzenbuch aus der Zeit um 1878 entsprechen in ihren Abmessungen dem Skizzenbuch I. Der Verbleib der Blätter ist unbekannt. 8 Auf dem vorderen Spiegel befand sich zudem ein Hinweis auf die Pferdewagen-Studie, der wohl von Thomas Corinth stammt. Vgl. die entsprechende Notiz in Skizzenbuch II mit den Initialen »T. C.«. 9 Siehe auch Thomas Corinth, New York, Schreiben vom 22. 11. 1981 an Dr. Ernst Schremmer, Esslingen. Kunstforum Ostdeutsche Galerie Regensburg, Archiv: »Die andern Blaetter sind alle unsigniert [...], koennen auch mit dem offiziellen Stempel ›Atelier Lovis Corinth‹, falls gewuenscht, versehen werden.« gründen zunächst nicht angekauften) Skizzenbuches seines Vaters an,6 dass »schon Lovis Corinth Seiten ausgerissen und verkauft hatte«.7 Weil die vorhandene Zählung mit Seite 85 auch den hinteren Spiegel umfasst, könnte sich Corinths Sohn für die ungewöhnliche Positionierung des Pferdewagenblattes als Seite 0 am Beginn des Buches entschieden haben.8 Auch der (Nachlass-)Stempel »ATELIERLOVIS CORINTH«, der in Skizzenbuch I auf den Innenseiten des Einbands angebracht wurde, ist in diesem Zusammenhang zu sehen. Das Stempeln des Buches geht nämlich ebenfalls auf Thomas Corinth zurück, der sich unter der Rechnung vom 8. Dezember 1982 ausdrücklich bei Dr. Werner Timm, dem damaligen Direktor der Ostdeutschen Galerie, danach erkundigte, ob er »Blaetter oder Deckel« mit jenem Stempel versehen solle. Auf dem hinteren Spiegel setzte Thomas Corinth über den Nachlass-Stempel schließlich sogar seinen persönlichen Adress-Stempel. Das Angebot, vor dem Verkauf noch weitere Seiten mit »dem offiziellen Stempel« zu versehen, schlug man hingegen offenbar aus.9 Im Übrigen nimmt die Paginierung kaum Rücksicht auf die ursprüngliche Ausrichtung und Abfolge der Blätter. Auch wenn sich der originäre Aufbau dieses Skizzenbuches aufgrund der verlorenen Lagenstruktur der Bindung in Verbindung mit einer unspezifischen Anordnung der Heftlöcher vermutlich nie mehr vollständig nachvollziehen lässt, ist es im Rahmen der Vorbereitung dieser Publikation zumindest gelungen, viele der EinzelAbb. 2 Lovis Corinth Zentaurenpaar (BC 1002), 1917, Öl auf Leinwand, 55 × 81 cm, Verbleib unbekannt blätter anhand der Bruch- oder Risskanten zu Doppelblättern zusammenzufügen. Zudem konnte anhand der Heftlöcher und Mittelfalze auf die einstige Ausrichtung der Blätter geschlossen werden. Beispielsweise konnte so die vorgebliche Position des Pferdewagen-Blattes am Beginn des Skizzenbuchs ausgeschlossen werden. Das Motiv befand sich zweifellos in der zweiten Hälfte einer Lage, was Faltung und Heftlochfolge des Gegenstücks belegen. Wie sich anhand der meisten Skizzenbücher Corinths im Bestand des Kunstforums Ostdeutsche Galerie beobachten lässt, drehte der Rechtshänder auch in diesem Fall das Buch in seiner Linken in der Regel so, dass er bequem auf eine Recto-Seite zeichnen konnte. Nicht wenige der Motive (und Seitenzahlen) stehen daher nun auf dem Kopf, was allerdings der ursprünglichen Beschaffenheit des Skizzenbuches entspricht.
30 Spiegel vorn | Spiegel hinten Einband vorn | Einband hinten Einband vorn leer Einband hinten leer Spiegel vorn bez. mit Bleistift o. l.: 20.; 50 / 20/1000; 2.50; 20 / 2/40.; 50; o. r.: F. / S / S / M / D / M / D / T / S / S / M / D. [geschweifte Klammer] 12[?]; 92/6 [über 7]; G[?] / 4/50, w[?]; u. M.: PFERDE WAGEN S.T. [?] / IN AUWEIDEN [sic] 1878 [radiert, über Kopf]; Stempel in Braun in Rechteck o. l.: ATELIERLOVIS CORINTH Spiegel hinten Figurenstudien, anatomische Studie (Torso) Bleistift bez. mit Bleistift o. l.: 85; u. r.: 90/[?] [über Kopf]; Stempel in Braun in Rechteck u. l.: ATELIERLOVIS CORINTH [vertikal]; darüber Stempel in Braun: THOMAS CORINTH / 145 EAST 16th ST. / NEW YORK, N. Y. 10003 [vertikal] Zusammengefügtes Doppelblatt 0, 0 v / 63, 64 Seite 63 Frosch und Insekten, Studie zum Gemälde Angst, 1884 (BC 984) Bleistift bez. mit Bleistift o. l.: 63 Seite 64 Sitzender Mann, Tasse Feder in Schwarz Kopfstudie zum Gemälde Angst, 1884 (BC 984) Bleistift bez. mit Bleistift o. r.: 64 Seite 0 Pferdewagen; liegender Hund Bleistift sign. und dat. mit Bleistift u. r.: Louis Corinth / Anweiden / 1878.; bez. mit Bleistift o. l.: 0; Stempel in Rot o. l.: H. Z. A. P. Berlin / Abt. Niederlage No. 3. [in Kreis um Adler] Seite 0 v Kompositionsentwurf und Kopfstudie zum Gemälde Angst, 1884 (BC 984) Bleistift bez. mit Bleistift o. r.: 0 v Einzelblatt 65, 66 Seite 65 Figurenstudie zum Gemälde Angst, 1884 (BC 984), Figurenstudien Bleistift bez. mit Bleistift o. l.: 65 Seite 66 Studie einer sitzenden Frau Bleistift Karikierende Kopfstudie Feder in Schwarz bez. mit Bleistift o. r.: 66
31 Skizzenbuch I S 0 v | S 63 S 64 | S 0 S 66 | S 65
32 Zusammengefügtes Doppelblatt 17, 18 / 61, 62 Seite 17 Interieur mit landwirtschaftlichem Gerät, Hunde- und Entenstudien Bleistift bez. mit Bleistift o. l.: 17 Seite 18 Hundekopf Bleistift bez. mit Bleistift o. r.: 18 Seite 61 Kompositionsstudien mit sitzenden und stehenden Figuren Bleistift bez. mit Bleistift o. l.: 61 Seite 62 Liegender Hund, Aktstudie eines kauernden Mannes Bleistift bez. mit Bleistift o. r.: 62 Zusammengefügtes Doppelblatt 4, 3 / 24, 23 Seite 4 Figurenstudie (?) Kreide in Schwarz bez. mit Bleistift u. l.: 4 [über Kopf] Seite 3 Weg mit Bäumen Bleistift bez. mit Bleistift u. r.: 3 [über Kopf] S 18 | S 61 Seite 24 Figurengruppe Kreide in Rot bez. mit Bleistift u. l.: 24 [über Kopf] Seite 23 Pflanzenstudien Bleistift bez. mit Bleistift u. r.: 23 [über Kopf] S 62 | S 17
33 Skizzenbuch I S 23 | S 4 S 3 | S 24
34 Zusammengefügtes Doppelblatt 2, 1 / 10, 11 Seite 2 Porträtstudie eines Mannes (Friedrich Corinth?) Bleistift bez. mit Bleistift u. l.: 2 [über Kopf]; o. r.: 1 [?] Seite 1 Porträtstudie eines Mannes (Friedrich Corinth?) Bleistift bez. mit Bleistift o. r.: 2; u. l.: 1 [über Kopf] S 1 | S 10 Seite 21 Pflanzenstudien Bleistift bez. mit Bleistift u. r.: 21 [über Kopf] Seite 16 Figurenstudie Kreide in Schwarz bez. mit Bleistift u. l.: 16 [über Kopf] Seite 15 Zeichnender Mann, Landschaft, Baumstamm (?) Bleistift bez. mit Bleistift u. r.: 15 [über Kopf] Seite 10 leer bez. mit Bleistift u. l.: 10 [über Kopf] Seite 9 Pflanzenstudie mit Gewässer, vgl. die Gemälde Im Schilf, 1884 (BC 18), und Angst, 1884 (BC 984) Bleistift bez. mit Bleistift u. l.: 9. [über Kopf] Zusammengefügtes Doppelblatt 22, 21 / 16, 15 Seite 22 leer bez. mit Bleistift u. l.: 22 [über Kopf] S 9 | S 2
35 Skizzenbuch I S 15 | S 22 S 21 | S 16
56 56 Skizzenbuch II um 1879 Inv.-Nr. 18976 1993 erworben bei Hellmut Schumann AG, Zürich Vorbesitzer: Thomas Corinth, New York 19,5 × 29,0 × 1,7 cm (gesamt) 18,8 × 27,4 cm (Blatt) Hartbroschur, Graupappe mit schwarzem Papier bezogen, Rücken und Ecken mit braunem Gewebeband bezogen, umlaufender Zierschnitt, ohne Verschlussbänder; rechts zwei Stiftlaschen aus Karton mit braunem Gewebeband bezogen. Ursprüngliche Fadenheftung weitgehend aufgelöst, zwei Heftbünde aus hellem Gewebeband, vorgeklebte Vorsätze mit ca. 3–5 mm an die jeweils übernächste Lage angeleimt (B 7 r und B 36 v), daher ohne fliegende Blätter. Ursprünglich 42 Blatt in 7 Lagen, im Buch erhalten waren 28 Blatt, ein Einzelblatt aus dem Bestand konnte zugeordnet und als B 28 bestimmt werden (Inv.-Nr. 14139).1 Das Skizzenbuch II in den Beständen des Kunstforums Ostdeutsche Galerie wurde 1993 mit eigenen Mitteln aus dem Kunsthandel für die Grafische Sammlung des Hauses erworben.2 Zwar ist dieses Buch nicht mit dem Nachlassstempel »ATELIERLOVIS CORINTH« versehen, doch deutet die als Inhaltsangabe zu verstehende Notiz »LANDSCHAFTEN z. T. / ›FRISCHE NEHRUNG‹ 1879 / T[homas] C[orinth]« auf dem vorderen Spiegel auf die Familie des Künstlers als Vorbesitzer hin. Von Corinths Sohn Thomas hatte man 1982 bereits Skizzenbuch I als eines von zwei angebotenen Skizzenbüchern mit Bundesmitteln erwerben können. Dass es sich bei dem anderen, damals aus Kostengründen nicht angekauften Skizzenbuch um das vorliegende Exemplar handelt, beweist weniger der mit den damaligen Angaben übereinstimmende Umfang als vielmehr ein zwischenzeitlich separat aufbewahrtes Blatt, das gemeinsam mit dem Pferdegespann-Blatt aus Skizzenbuch I (B 0/0 v) in einem Schreiben Thomas Abb. 1 Lovis Corinth Im Kuhstall 1880, Feder in Schwarz, Pinsel in Schwarz und Braun, Höhungen gekratzt, partieller Überzug v. a. auf schwarzen Partien, 15,8 × 21,8 cm (Blatt); Kunstforum Ostdeutsche Galerie Regensburg, Inv.-Nr. 19065 Corinths vom 22. November 1981 näher beschrieben ist: »Die [...] zwei erwaehnten signierten Handzeichnungen ›Haus mit Duenen‹ und ›Pferdegespann‹ gehoeren in die Skizzenbuecher und sind auf den beigelegten Listen unter No: 8 und #68 erwaehnt.«3 Das zweifellos in Skizzenbuch II mit Blatt 15 zu identifizierende Blatt trägt vorn die Darstellung eines Hauses in einer Küstenlandschaft, die unter der Signatur eigenhändig mit »1879 Frische Nehrung« datiert und lokalisiert ist. Darüber hinaus ist die übereinstimmende Notiz »Nro 8« auf beiden Seiten (verso durchgestrichen) angebracht worden. Die naheliegende Vermutung, eine separate Präsentation der beiden Blätter habe Lovis Corinth dazu veranlasst, diese herauszutrennen und zu signieren, bestätigt sich hier angesichts von Resten einer Montierung auf der Rückseite. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang außerdem der rote Zollstempel auf der Rückseite, der sich auch auf dem Pferdewagen-Blatt findet.4
57 Skizzenbuch II Einband vorn Spiegel vorn | B 1 r 1 Weitere Blätter wohl in Ausst.-Kat. Bremen 1975, Nr. 5–8, hier: Nr. 4. 2 Zusammen mit dem Skizzenbuch wurde das sogenannte Kegel-Album der »Club-Mitglieder Semester 83/84« (Kegelclub München) aus Corinths Münchner Zeit erworben. Kunstforum Ostdeutsche Galerie Regensburg, Inv.-Nr. 18977. Siehe Ausst.-Kat. Regensburg 2025/26, Nr. 40. 3 Thomas Corinth, New York, Schreiben vom 22. 11. 1981 an Dr. Ernst Schremmer, Esslingen. Kunstforum Ostdeutsche Galerie Regensburg, Archiv. Thomas Corinth hatte das Anbringen des »offiziellen Stempel[s]« unter anderem in diesem Schreiben als Option angeboten. 4 Bei Skizzenbuch I, B 0 / 0 v, ist es denkbar, dass der unsignierte Kompositionsentwurf zum Gemälde Angst (BC 984) aufgrund seiner bildmäßigen Anmutung vom Zoll als Vorderseite angesehen wurde. 5 B 16 v. 6 B 24 r. 7 B 16 r, 21 v, 23 v–24 v. 8 B 17 v, 15 v. 9 B 1 r/v, 5 r. 10 B 2 r, 12 r, 14 r, 27 v, 37 r. 11 B 14 r, 18 r, 23 r. 12 B 10 r, 42 v. 13 B 5 r, 25 r/v, 26 r/v. 14 B 25 v, 26 r, 31 v. 15 Kunstforum Ostdeutsche Galerie Regensburg, Inv.-Nr. 19065. Siehe Ausst.-Kat. Regensburg 2025/26, Nr. 3. 16 B 7 r, 15 r, 39 r. 17 B 2 r, 3 r, 11 r. 18 B 15 r. 19 B 27 v, 29 v. 20 B 2 r, 3 r, 4 r, 6 r. 21 B 36 v. Die Datierung der Landschaftsstudie in das Jahr 1879 erlaubt es, auch dieses Skizzenbuch am Beginn von Corinths künstlerischer Tätigkeit zu verorten. Soweit die Motive eine solche Zuordnung erlauben, könnten alle der enthaltenen Skizzen während seines Studiums an der Königsberger Akademie, das heißt bis zum Frühjahr 1880, entstanden sein. Eine eigenhändige Bezeichnung wie »Studien aus d. Modellklasse«5 verweist ebenso wie die relativ große Zahl an Aktdarstellungen auf den Kontext der akademischen Ausbildung. Der in Untersicht gezeigte männliche Akt in der Pose des Gekreuzigten6 lässt die Übung als Zweck der Zeichnungen ebenso erkennen wie die kurzen Serien mit Modellen in verschiedenen Posen,7 aber auch der Einsatz einfacher Stecken und Schemel, welche die Körperhaltungen motivieren.8 Daneben enthält das Skizzenbuch II jedoch auch lebensnahe Figurenstudien mit Szenen, die sich in einem Wirtshaus oder in einer Schule zugetragen haben könnten.9 Menschen in alltäglichen, bewegungsarmen Situationen erkannte Corinth immer wieder als Gelegenheit, sich im Zeichnen zu üben.10 Bisweilen haben diese Figurenstudien Porträtcharakter 1 1 oder sind wie sein Vater Heinrich und ein Herr »Katzmann« durch Beschriftung eindeutig als Bildnisse ausgewiesen.12 Neben dem Körper und der Physiognomie des Menschen befasste sich der Künstler im Skizzenbuch II auch mit der Darstellung von Tieren: Auf der Weide und im Stall beobachtete er Kühe und Pferde.13 Zudem studierte er Schweine und Hunde in unterschiedlichen Körperhaltungen.14 Das kleinformatige Gemälde Kuhstall von 1879 (BC 2) steht mit diesen Skizzen ganz offensichtlich ebenso in Beziehung wie die Im Kuhstall genannte Feder- und Pinselzeichnung im Bestand des Kunstforums Ostdeutsche Galerie (Abb. 1).15 Rund ein Jahrzehnt später schuf Corinth zwei Ölskizzen von Schweinen (1889, BC 65, 66) sowie das Gemälde Der verlorene Sohn (1891, BC 81), das ebenfalls Schweine beim Fressen zeigt. Angesichts des zeitlichen Abstands verwundert es allerdings nicht, dass die Schweinestudien im Skizzenbuch II nicht unmittelbar als Vorarbeiten zu diesen Werken gelten können. Darüber hinaus weist das Skizzenbuch II eine ganze Reihe Landschafts-16 und Interieurstudien17 auf, die wie die »Frische Nehrung«18 wohl ausnahmslos der Küstenregion um Königsberg zuzuordnen sind. Akribisch hielt Corinth landwirtschaftliches Gerät in Zeichnungen fest.19 Ebenso belegen Studien von Fischerkähnen (»Keitel«) und einem speziellen Stellnetz zum Fang von Flundern (»Zeise«) ein besonderes Interesse des Künstlers an der Lebenswirklichkeit der Küstenbewohner.20 Als bildmäßiger Entwurf stellt demgegenüber das kleine Querformat mit sitzendem Faun und Frosch eine Ausnahme innerhalb des (erhaltenen) Skizzenbuches II dar.21 Da sich dennoch keine Anhaltspunkte finden, die eine spätere Datierung einzelner Zeichnungen nahelegen, spricht alles dafür, dass Corinth das Skizzenbuch II ausschließlich während seiner Königsberger Zeit um das Jahr 1879 verwendet hat.
58 B 2 v | B 3 r 1. Lage 6 Blätter Blatt 1 (lose) r Figurenstudien, Kopfstudie Bleistift bez. mit Bleistift o. l.: 1. v Zwei Männer am Tisch, Figurenstudie Bleistift bez. mit Bleistift o. r.: 2. Blatt 2 (lose) r Interieurstudie, Boot, Figurenstudien Bleistift bez. mit Bleistift o. l.: 7. v leer, Abklatsch von B 3 r bez. mit Bleistift o. r.: 8. Blatt 3 (lose) r Interieurstudie, Fischernetz Bleistift bez. mit Bleistift o. r.: 25; u. l.: Pfahlbinder (stirnig[?]); u. r.: Zeise (Flundernetz) v leer, Abklatsch von B 4 r bez. mit Bleistift o. r.: 26 Blatt 4 (lose) r Keitelkahn Bleistift bez. mit Bleistift o. l.: 23; u. M.: Keitel. [Bootstyp] v leer bez. mit Bleistift o. r.: 24 Blatt 5 (lose) r Weidende Kühe, Figurenstudien Bleistift bez. mit Bleistift o. l.: 33 v leer Blatt 6 (lose) r Segelboot mit Landschaft Bleistift bez. mit Bleistift o. l.: 17 v leer, Abklatsch von B 7 r bez. mit Bleistift o. r.: 18 B 1 v | B 2 r Einband vorn leer Spiegel vorn Skelett Bleistift bez. mit Bleistift o. r.: 0; A.; o. l.: LANDSCHAFTEN z. T. / »FRISCHE NEHRUNG« 1879 / T. C.; u. r.: BM 21247 RPXV [X?] 1 6 2 5 3 4
59 Skizzenbuch II B 3 v | B 4 r B 4 v | B 5 r B 5 v | B 6 r
60 B 6 v | B 7 r 2. Lage 4 Blätter, 2 fehlen Blatt 7 (lose) r Dorfvedute Bleistift bez. mit Bleistift o. r.: 27 v leer bez. mit Bleistift o. r.: 28 Blatt 8 fehlt Blatt 9 fehlt Blatt 10 (Fragment, lose) r Porträtstudie Franz Heinrich Corinths, Interieur (Fragment) Bleistift bez. mit Bleistift o. M.: 42; l. M.: Heinrich; M. in der Darstellung: Otto Hildebrand / Narm[?] v leer bez. mit Bleistift o. r.: 43 Blatt 11 (lose) r Interieur, sitzender Mann Bleistift bez. mit Bleistift o. l.: 21 v Männliche Aktstudie Bleistift bez. mit Bleistift o. r.: 22 B 11 v | B 12 r 7 12 8 11 9 10 Blatt 12 (lose) r Lesender Mann Bleistift bez. mit Bleistift o. l.: 13 v Männliche Aktstudie, Abklatsch von B13r Bleistift bez. mit Bleistift o. r.: 14
61 Skizzenbuch II B 7 v | B 10 r B 10 v | B 11 r
62 B 12 v | B 13 r B 13 v | B 14 r B 14 v | B 15 r
63 Skizzenbuch II 3. Lage 6 Blätter Blatt 13 (lose) r Lesende Männer; Kopfstudie, Handstudien Bleistift bez. mit Bleistift o. l.: 11. v leer, Abklatsch von B 14 r bez. mit Bleistift o. r.: 12; u. l.: [?] Blatt 14 (lose) r Sitzender Mann; Kopfstudien Bleistift bez. mit Bleistift o. l.: 15. v leer bez. mit Bleistift o. r.: 16; u. l.: [?] Blatt 15 (lose) r Landschaft Bleistift sign. u. dat. u. r.: Lovis Corinth / 1879 Frische Nehrung; bez. mit Bleistift o. l.: 55; o. r.: 12; u. l.: Nro 8 v Männliche Aktstudien Bleistift bez. mit Bleistift o. r.: 56; o. M.: 19; r. M.: Nro 8; Stempel in Rot u. r.: H. Z. A. P. Berlin / Abt. Niederlage No. 3. [in Kreis um Adler] 13 18 14 17 15 16 Blatt 16 (lose) r Männliche Aktstudie Bleistift bez. mit Bleistift o. l.: 31. v Figurenstudien Bleistift bez. mit Bleistift o. r.: 32; o. M.: Studien aus d. Modellklasse Blatt 17 (lose) r Figurenstudien Bleistift bez. mit Bleistift o. r.: 40 v Männliche Aktstudie Bleistift bez. mit Bleistift o. r.: 41. Blatt 18 (lose) r Kopf- und Handstudien Bleistift bez. mit Bleistift o. r.: 36 v Weibliche Porträtstudie Feder in Schwarz, laviert, Höhungen gekratzt, Bleistift bez. mit Bleistift o. r.: 37
208 208 Skizzenbuch IX um 1897/99 Inv.-Nr. 19090 Dauerleihgabe der Bundesrepublik Deutschland 1996 erworben von Hans W. Neubauer, Egg bei Zürich (Antiquariat Hellmut Schumann, Zürich) Vorbesitzer: Thomas Corinth, New York 30,7 × 23,9 × 1,7 cm (gesamt) 29,5 × 22,7 cm (Blatt) Hartbroschur, mit graubraunem Leinengewebe bezogen, Stiftlasche aus Pappe mit graubraunem Leinengewebe bezogen, Verschlussbänder aus graubraunem Leinengewebe, Fadenheftung über drei Heftbänder, vorgeklebte Vorsätze, Spiegel mit schmalem Streifen an die übernächste Lage angeleimt, daher keine fliegenden Blätter. Ursprünglich 40 Blatt verschiedenfarbiger Papiere (Wasserzeichen: J. M. P. PARIS) in 4 Lagen, 5 Einzelblätter fehlen, im Buch erhalten sind 35 Blatt. Das Buch, das in der Zählung des Kunstforums Ostdeutsche Galerie als Skizzenbuch IX firmiert, zeichnet sich durch farbige Papiere aus, deren ursprüngliche Herkunft anhand des Wasserzeichens »J. M. P. PARIS« nachvollzogen werden kann. Dies bedeutet allerdings nicht, dass Lovis Corinth dieses Exemplar nicht auch andernorts erworben haben könnte.1 Das Farbspektrum der eingebundenen Papiere reicht von hellen gelblichen, rötlichen und grünlichen Tönungen bis hin zu einem relativ kräftigen Blau. Es hat jedoch nicht den Anschein, dass der Künstler beim Zeichnen auf die jeweilige Papierfarbe Rücksicht genommen hätte. Es ist in dieser Hinsicht lediglich festzustellen, dass die dunkelblauen Blätter, mit denen sich zum Beispiel mittels Weißhöhungen plastischere Wirkungen hätten erzielen lassen, in den meisten Fällen sogar überblättert wurden. Dessen ungeachtet ist es zumindest bedenkenswert, dass die Komposition der Salome, die Corinth 1899/1900 in zwei unterschiedlich großen Fassungen in München gemalt hat (BC 170, 171),2 im fertigen Bild eine »gelbe Stimmung in Blau«3 aufweisen sollte. Wenn man das Skizzenbuch IX mit diesem Vorwissen betrachtet, scheinen die Vorstudien zu der Bildidee, die auf entsprechend farbigen Papieren ausgeführt sind, die angestrebte Farbstimmung der Malerei bereits anzukündigen.4 Rund zwei Jahrzehnte später dürfte Corinth noch einmal auf das Skizzenbuch IX und die darin befindlichen Zeichnungen zur Salome zurückgegriffen haben. Diese Vermutung liegt jedenfalls nahe, da er 1919 eine Radierung zu dem Thema anfertigte (Abb. 1), die als eine »gegenseitige [das heißt aufgrund des Druckvorgangs seitenverkehrte] Wiederholung des Gemäldes« beschrieben werden kann.5 Eine weitere druckgrafische Arbeit aus dieser Zeit bestätigt die Annahme, dass der Künstler noch um 1918 mit dem Skizzenbuch gearbeitet hat: Es handelt sich dabei um eine Radierung zur Figur des Jägers Falstaff (Abb. 2), der in einer Szene der Komödie Die lustigen Weiber von Windsor von William Shakespeare (1564–1616) als Jagdgott Herne verkleidet (»mit einem Hirschgeweih auf dem Kopf«) auftritt.6 Corinth schuf sie nicht etwa als Teil eines größeren Illustrationszyklus zur Shakespeare-Komödie, sondern als einen von zwei Beiträgen zur Mappe Shakespeare Visionen, welche 1918 von der im Vorjahr gegründeten Marées-Gesellschaft mit dem Untertitel Eine Huldigung deutscher Abb. 1 Lovis Corinth Salome (Schwarz 367), 1919, Kaltnadel, Plattenton, 19,9 × 24,9 cm (Platte), 24,3 × 33,0 cm (Blatt); Kunstforum Ostdeutsche Galerie Regensburg, Inv.-Nr. 1290, Dauerleihgabe der Bundesrepublik Deutschland
209 Skizzenbuch IX Künstler veröffentlicht wurde.7 Ein Vergleich des druckgrafischen Blattes mit der Bleistiftzeichnung im Skizzenbuch8 führt vor Augen, dass der verkleidete Falstaff in der Radierung in einer stimmungsvoll beleuchteten Landschaft platziert wurde. Doch auch die beiden Figuren weisen eine ganze Reihe von Unterschieden auf: Diese betreffen insbesondere die Kleidung des Jägers, sein Gestikulieren mit der linken Hand sowie seinen Körperbau, der in der Radierung noch feister wirkt. Dies deutet darauf hin, dass sich Corinth in dem Skizzenbuch dazu hat anregen lassen, eine alte Bildidee aufzugreifen. Abgesehen von diesen Rückgriffen, die die Bedeutung des Skizzenbuches verdeutlichen, kann eine Vielzahl der Studien anhand von zeitgenössischen Gemälden im Zeitraum um 1887 bis 1899 verortet werden. Darunter sind zunächst zwei Entwürfe zu dem 1897 in München geschaffenen Werk Susanna und die beiden Alten (BC 144) hervorzuheben, von denen einer die Komposition der Figurengruppe weitgehend vorwegnimmt.9 Des Weiteren finden sich mehrere Zeichnungen, die mit Porträts korrespondieren, die Corinth 1899 gemalt hat. Das Porträt Max Liebermann (BC 180) ist hier ebenso zu nennen wie dasjenige von Dr. Ferdinand Mainzer (BC 187) und das von Porträt Richard Israel (BC 190).10 Zwei Entwürfe für Frauenbildnisse könnten zudem Israels Frau Bianca zeigen, von der das Werkverzeichnis der Gemälde zwei Porträts aus der Zeit der Jahrhundertwende anführt. Besonders die ganzfigurige Darstellung, die Corinth während eines mehrwöchigen Aufenthalts bei dem Paar auf Gut Schulzendorf in Brandenburg malte, lässt hinsichtlich Kleidung und Haartracht an die Skizzen denken (BC 175, vgl. BC 191).11 Am deutlichsten ist der historische Bezugspunkt jedoch bei zwei Entwürfen gegeben, die die Jahreszahl 1900 tragen. Corinth wird sie im Jahr zuvor anlässlich der bevorstehenden Jahrhundertwende angefertigt haben.12 Die erste Variante zeigt einen geflügelten Genius, der – gutmütig lächelnd – die Hoffnung auf eine glückliche und erfolgreiche Zukunft verkörpert. In der anderen Variante erscheint diese Figur hingegen ohne Flügel, weshalb sie nunmehr als gewöhnlicher Mensch aufzufassen ist. Eilenden Schrittes nähert sich von links Chronos, der als alter Mann mit den Attributen Sense und Stundenglas dargestellt ist. Als Sinnbild der Vergänglichkeit entlarvt sein unaufhaltsames Voranschreiten den vermeintlich epochalen Jahreswechsel als flüchtig und nichtig. Als ob er diesen Gedanken noch weiter entwickeln wollte, zeichnete Corinth, der nach eigener Aussage zeitlebens »von schwerster Melancholie heimgesucht« wurde,13 auf der nächsten Seite14 eine dritte Fassung ohne die Jahreszahl. Stattdessen ist Chronos zu sehen, wie er ohne Unterschiede zu machen über alle sozialen Schichten der Gesellschaft hinwegschreitet, deren Repräsentanten der Zeichner am vorderen Bildrand versammelt hat. Man mag sich an das von den Reitern der Apokalypse überrannte Volk in dem berühmten Holzschnitt erinnert fühlen, den Albrecht Dürer (1471–1528) gleichfalls an der Wende zu einem neuen Jahrhundert geschaffen hat. Wesentlich unmittelbarer schließt die Bildfindung jedoch an eine Passage in Corinths Selbstbiographie an, in der er eine ebenso existenziell- nihilistische Weltsicht zum Ausdruck bringt: »Liebermann sagte einst zu mir, man muß alles haben, um zu sehen, wie nichtig alles ist. Mich stößt aber bereits alles ab, und ich will sogar das, was ich noch erreichen könnte, gar nicht haben, weil aus dem Errungenen schon der Ekel einen angrinst.«15 Möglicherweise ist es kein Zufall, dass sich die bereits erwähnte Seite mit Porträtstudien des angesprochenen Max Liebermann (1847–1935) in dem Skizzenbuch ausgerechnet zwischen den Entwürfen zum Jahreswechsel 1899/1900 befindet.16 Besonders die untere Darstellung des skeptisch dreinblickenden Berliner Künstlers lässt große Ähnlichkeiten zu dessen gemaltem Bildnis (BC 180) erkennen, welches Corinth in den Tagen vor Silvester »zum Vergnügen«17 schuf und entsprechend mit »Dezember 1899« datiert hat. 1 Das Wasserzeichen ist beispielsweise auch an einer 1896/97 datierten Kohlezeichnung des spanischen Genremalers Manuel González Santos (1875–1949) nachgewiesen. Das Format des Blattes entspricht in etwa einem Doppelblatt des Skizzenbuches IX. Siehe Madrid, Museo Nacional del Prado, Inv.-Nr. D010025, https:// www.museodelprado.es/ recurso/item/7f96d33edf13-4115-9284-49e1dda61b91. Vgl. https:// memoryofpaper.eu/ prado/prado.php?id_filigrana=65430 (8. 7. 2025). 2 Vgl. Ausst.-Kat. Regensburg 2025/26, S. 102–107. 3 Lovis Corinth, »Aufzeichnungen«, zitiert nach Berend-Corinth 1992, S. 79. 4 Zur Genese der Salome vgl. Ausst.-Kat. Regensburg 2025/26, S. 102–106. 5 Schwarz 1985, S. 191. 6 B 35 v. Siehe William Shakespeare, Die lustigen Weiber von Windsor / The Merry Wives of Windsor, 5. Akt, 5. Szene: »Eine andere Gegend des Parkes: Falstaff mit einem Hirschgeweih auf dem Kopf« / »Another part of the Park. Enter Falstaff disguised as Herne«. 7 Vgl. Blatt 30 der genannten Mappe: Lovis Corinth, Krönung Heinrichs V., 1918 (Schwarz 390). 8 B 36 v. 9 B 25 r. Vgl. B 38 r. 10 B 29 r, 39 v, 40 v. 11 B 37 v, 38 v. Vgl. auch B 9 r. Siehe dazu Bianca Israel, Hannover-Kleefeld, Schreiben vom 29. 1. 1959 an Thomas Corinth, New York, in: Corinth 1979, S. 59 f., vgl. S. 57. 12 B 28 v, 30 v. 13 Corinth 1926, S. 171. 14 B 31 r. 15 Corinth 1926, S. 169. 16 B 29 r. 17 Lovis Corinth, Berlin, Schreiben vom 28. 12. 1899 an Josef Ruederer, München, in: Corinth 1979, S. 57 f. Abb. 2 Lovis Corinth Falstaff (Schwarz 389), 1918, Radierung, 26,5 × 20,0 cm (Platte), Blatt 11 der Mappe Shakespeare Visionen. Eine Huldigung deutscher Künstler, 3. Druck der Marées-Gesellschaft, R. Piper & Co., München 1918; Albertina, Wien, Inv.-Nr. DG2005/10942/11
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