Leseprobe

28 28 Skizzenbuch I Das Skizzenbuch I wurde 1982 mit Mitteln der Bundesrepublik Deutschland als Dauerleihgabe für die Sammlung des Kunstforums Ostdeutsche Galerie vom Sohn des Künstlers, Thomas Corinth (1904–1988), erworben. Lovis Corinth verwendete das Skizzenbuch I bereits während seines Studiums an der Königsberger Akademie in den späten 1870er-Jahren sowie in der anschließenden Münchner Zeit und vermutlich auch noch in Antwerpen, wo 1884 das Gemälde Angst beziehungsweise In Angst (Abb. 1, BC 984) entstand, das einen jungen Badenden zeigt, der vor Fröschen aus einem Teich flüchtet. Mehrere Studien und Entwürfe aus Skizzenbuch I rekurrieren unmittelbar auf dieses Werk, welches Corinth nach eigener Auskunft 1889/90, »zerschmettert« wegen des ausgebliebenen Erfolgs, »aus Rache« übermalt haben will.1 Die einzige explizite Datierung innerhalb des Buches betrifft die Bleistiftskizze eines vierspännigen Pferdewagens, welche demnach 1878 in der südlich von Königsberg gelegenen Ortschaft »Anweiden« (Aweiden, heute Juschny, Oblast Kaliningrad, Russland) geschaffen worden ist.2 Die Unsicherheiten hinsichtlich der Entstehung der einzelnen enthaltenen Zeichnungen treten allerdings bereits an diesem einen Blatt hervor, zumal sich darauf nicht nur der Pferdewagen, sondern umseitig auch der maßgebliche Kompositionsentwurf zu Angst befindet. Diesen könnte Corinth prinzipiell schon einige Jahre vor der Ausführung des Gemäldes 1884 erarbeitet haben. Ebenso wäre es denkbar, dass er noch in Antwerpen in ein älteres Skizzenbuch zeichnete. Selbst die Möglichkeit, dass der Künstler (sei es beabsichtigt oder nicht) Jahre nach der Ausführung eine Zeichnung falsch datierte, lässt sich nicht mit der nötigen Sicherheit ausschließen. Eine Kompositionsstudie mit zwei Figuren weist motivisch sogar in die ersten Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts,3 wenngleich die Verwandtschaft mit dem 1917 enstandenen Gemälde Zentaurenpaar (Abb. 2, BC 1002) letztlich zu vage ist, um von einer unmittelbaren Verbindung ausgehen zu können.4 In jedem Fall deutet der Umstand, dass der Pferdewagen mit Signatur, Ortsangabe und Datierung in besonderer Weise aufgewertet worden ist, auf eine separate Präsentation dieses Motivs hin, für die der Künstler das Blatt zu einem unbekannten Zeitpunkt vermutlich selbst aus dem Buch herausgetrennt hat. Der rote Zollstempel oben links kann als ein weiteres Indiz für diese Annahme angeführt werden. Die erklärungsbedürftigen Seitenzahlen »0« beziehungsweise »0 v« auf dem signierten Blatt sprechen zudem für ein nachträgliches Einsortieren in eine bereits bestehende Seitenzählung. Diese Vermutung legt auch Thomas Corinth in einem Schreiben an Dr. Ernst Schremmer, Vorstandsmitglied der Stiftung der Ostdeutschen Galerie, im Vorfeld des Ankaufs nahe, wonach das fragliche Blatt erst 1981/82 in das Skizzenbuch zurückgelegt worden wäre.5 Es ist davon auszugehen, dass die durchlaufende Seitenzählung, die keine Rücksicht auf die originale Abfolge nimmt, aus der Zeit nach dem Tod des 1925 verstorbenen Künstlers stammt. Als die Skizzenbuchblätter ihre Paginierung erhielten, war die Bindung des Buches – dem heutigen Zustand entsprechend – weitestgehend aufgelöst. Thomas Corinth führt an gleicher Stelle für den relativ schlechten Erhaltungszustand dieses (und eines weiteren, aus KostenAbb. 1 Lovis Corinth In Angst (BC 984), 1884, Öl auf Leinwand, Maße und Verbleib unbekannt, Zentralinstitut für Kunstgeschichte, München, Photothek 1878 bis um 1884 Inv.-Nr. 12448 Dauerleihgabe der Bundesrepublik Deutschland 1982 erworben von Thomas Corinth, New York 21,0 × 26,9 × 2,1 cm (gesamt) 19,7 × 25,9 cm (Blatt) Hartbroschur, Graupappe mit schwarzem Papier bezogen, schwarzes Gewebe an Rücken und Ecken, Verschlussbänder aus dunkelbraunem Gewebe, eines fehlt; oben Stiftlasche aus dünnem Karton mit braunem Gewebe bezogen. Ursprüngliche Fadenheftung aufgelöst, zwei Heftbünde aus hellem Gewebeband. Vorgeklebte Vorsätze, fliegendes Blatt vorn fehlt. Ursprünglich 48 Blatt in 6 Lagen sowie zwei fliegende Blätter, im Buch erhalten sind 43 Blatt, wobei ein Blatt (S. 39/40) aufgrund seiner Beschaffenheit als ursprünglich nicht zugehörig anzusehen ist.

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