Leseprobe

299 Album rung des Buches 1989 einen »Abschiedsgruß an das ›Heiligtum‹«6 (Abb. 2), der an dieser Stelle ebenfalls im Wortlaut wiedergegeben sei: »New York, November 1989 / Oft, und ein letztes Mal nicht lange vor / Thomas’ Tod [am 1. März 1988] sprachen wir über das Buch, / das unsere Mutter uns als ein ›Heiligtum‹ / ans Herz gelegt hatte. / Nun bin ich die einzig Überlebende / der Familie Corinth, und die Verantwortung / über den endgültigen Verbleib dieses / Vermächtnisses der tiefen Liebe Lovis Corinths / zu seinem Vater, lastete auf mir. / Ich bin glücklich, es nun in der / Obhut des Museums der Ostdeutschen / Galerie zu wissen.« Genau wie im Fall des WalchenseeSkizzenbuches,7 das Wilhelmine CorinthKlopfer bereits im Vorjahr an die damalige Ostdeutsche Galerie verkauft hatte, trennte sich die Tochter des Künstlers auch von dem Album mit den »persönlich so berührenden Zeichnungen«8 in dem Bewusstsein um die eigene Verantwortung für den Nachlass ihres Vaters: »Nun ist es an mir allein, dieses Buch ›heilig‹ zu halten! Wie soll das geschehen? Ich kann nur denken, es dorthin zu geben, wo es am meisten geachtet und behuetet wird, und zwar, so weit man in die Zukunft denken kann, auf lange Zeit. Haetten Sie für die Galerie Interesse an diesem ›Heiligtum‹?«, schrieb sie in diesem Sinne rund ein Jahr nach dem Tod ihres Bruders an Werner Timm, den Direktor der Ostdeutschen Galerie.9 Im darauffolgenden Monat berichtete sie Timm von ihrem eigenen Wiedersehen mit dem Album: »Ich hatte das aufs Sorgfaeltigste verpackte Buch seit vielen Jahren nicht in der Hand gehabt, nur immer von dem ›Heiligtum‹ gewußt – wie ergriffen war ich nun, als ich es jetzt betrachtete, und sich mir Blatt für Blatt die tiefe Liebe Corinths fuer seinen Vater durch diese Zeichnungen offenbarte; und wie gut verstand ich die Worte meiner Mutter, mit denen sie uns dieses Buch ans Herz legte.«10 Mit der »ca. 1873« datierten Darstellung seines Lehrers »Dr. Cholevius« auf dem Hof des Kneiphöfischen Gymnasiums in Königsberg hat sich auf der ersten Seite des Albums eine Zeichnung des jugendlichen Lovis Corinth erhalten.11 Der Künstler verwendete das Motiv in seinem erstmals 1909 erschienen Buch Legenden aus dem Künstlerleben, wo es die Gymnasialzeit des Protagonisten illustriert.12 Wesentlich deutlicher ist in der dortigen Reproduktion der Regen zu erkennen, der in der Bleistiftzeichnung kaum mehr auszumachen ist. Von einer anderen Verwendung des Blattes zeugt außerdem die Bezeichnung »Nro 55« unten links, die an ein Blatt erinnert, welches Corinth aus dem Skizzenbuch II entnommen hatte.13 Abb. 2 Wilhelmine Corinth-Klopfer Abschiedsgruß an das »Heiligtum« November 1989; Kunstforum Ostdeutsche Galerie Regensburg, zu Inv.-Nr. 17837–17868 1 Vgl. Wilhelmine Corinth-Klopfer, New York, Schreiben vom 25. 5. 1989 an Dr. Werner Timm, Regensburg; Kunstforum Ostdeutsche Galerie Regensburg, Archiv: »Wie ich erst jetzt bemerkte, ist es im eigentlichen Sinne kein Skizzenbuch, sondern Corinth hatte es als Album benutzt, in das er liebevoll zusammengestellte Zeichnungen seiner Familie und vor allem des Vaters, einklebte. Auch schrieb er, leicht nach der Handschrift zu beurteilen, in dieser selben spaeteren Zeit, Erklaerungen und Jahreszahlen zu den entsprechenden, viel frueher entstandenen Zeichnungen, und nummerierte die Seiten. Die leeren Seiten muß er zu derselben Zeit herausgeschnitten haben, denn die Seitenzahlen sind fortlaufend.« 2 B 3 r. Zu Corinths Lehrer an der Königsberger Akademie, Otto Edmund Günther, siehe auch Skizzenbuch IV. 3 Vgl. die Widmung im Skizzenbuch III, Spiegel vorn. 4 Zu dem Album siehe auch Stilijanov-Nedo 1993, S. 58. 5 So Wilhelmine Corinth-­ Klopfer im November 1989 auf einem Umschlag: »Das einliegende Blatt von meiner Mutter geschrieben, war an dieser Stelle [des Albums] eingeklebt.« Kunstforum Ostdeutsche Galerie Regensburg, zu Inv.- Nr. 17837–17868. 6 So Wilhelmine Corinth-Klopfer auf einem zweiten Umschlag. Kunstforum Ostdeutsche Galerie Regensburg, zu Inv.-Nr. 17837–17868. 7 Siehe Skizzenbuch III. 8 Wilhelmine CorinthKlopfer, New York, Postkarte vom 29. 11. 1989 an Dr. Werner Timm, Regensburg; Kunstforum Ostdeutsche Galerie Regensburg, Archiv. 9 Wilhelmine CorinthKlopfer, New York, Schreiben vom 12. 4. 1989 an Dr. Werner Timm, Regensburg; Kunstforum Ostdeutsche Galerie Regensburg, Archiv. 10 Wilhelmine CorinthKlopfer, New York, Schreiben vom 25. 5. 1989 an Dr. Werner Timm, Regensburg; Kunstforum Ostdeutsche Galerie Regensburg, Archiv. 11 B 1 r (Mitte). Vgl. Ausst.-Kat. Berlin 1926, Nr. 14; Ausst.-Kat. Bremen 1975, Nr. 1. 12 Corinth 1909, Abb. S. 25.

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