300 300 Angesichts der Tatsache, dass der Literaturhistoriker Karl Leo Cholevius (1814–1878) als »ein Lehrer von tiefem wissenschaftlichen und sittlichen Ernst« in Erinnerung blieb, »dem seine Schüler zugleich ein feinfühlendes Verständniß für ihre Individualitäten nachrühm[t]en«,14 mag man auch in der gleichermaßen ernsthaft wie langmütig wirkenden Figur der Pausenaufsicht eine treffende Charakterisierung Cholevius’ erkennen. Unter den Erinnerungen aus seiner Studienzeit fügte Corinth nicht nur eigene Arbeiten ein, sondern unter anderem auch ein karikierendes Selbstbildnis, das sein Lehrer an der Königsberger Akademie, Otto Edmund Günther, auf ein Skizzenblatt mit Tierstudien gezeichnet hatte.15 Ein Blatt, das im Wesentlichen drei Porträts aus dem Kontext von Günthers »Gipsklasse« zeigt, enthält ebenfalls eine Skizze, die nicht von Corinth selbst stammt: Eines der drei Bildnisse zeigt nämlich ihn, gezeichnet von seinem Studienfreund Wilhelm Wellner, den wiederum Lovis Corinth im Gegenzug daneben porträtierte.16 Max Rentel, welcher neben Wellner einer von Corinths »intimsten Freunde[n]« dieser frühen Studienjahre gewesen ist,17 findet sich in einer 1878 festgehaltenen Genreszene beim Kartenspiel mit Corinths Vater Franz Heinrich. Überschrieben ist das Blatt mit: »Sechsundsechzig-Spiel meines Alten / u Rentel; Kohnert sieht zu.«18 Mit letzterem »kam [Corinth nach dem Wechsel des Studienortes] überhaupt niemals mehr zusammen, trotzdem [er] ihn hätte leicht in Berlin treffen können«.19 Zu den Familienmitgliedern, die Corinth neben seinem Vater mehrfach porträtierte beziehungsweise gelegentlich in ruhigen Momenten studierte, gehören die Tante und der Ohm (Onkel) in dem rund 30 Kilometer westlich von Königsberg gelegenen Moterau (heute Sabarje, Oblast Kaliningrad, Russland), außerdem deren früh verstorbener Sohn Otto, Corinths Cousin.20 Seinem Ohm und seiner Tante widmete der Maler 1880 ein heute nicht mehr greifbares Bildnispaar (Abb. 3, 4; BC 5, 6), das mit zwei der gezeichneten Porträts in enger Beziehung steht.21 Abb. 3 Lovis Corinth Porträt des Ohm in Moterau (BC 5), 1880, Öl, 42 × 32 cm, Träger und Verbleib unbekannt
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